pkl_178.001 "Durch Verhältnisse," sagt Gervinus, "ist allerlei pkl_178.002 Schriftstellerei bedingt. -- Wir haben in Deutschland pkl_178.003 keine Hauptstadt und keinen Hof, der den feinen Ton pkl_178.004 für das Jntriguenstück, ja nur für ein höheres Conversationsstück pkl_178.005 angäbe, wie es in Spanien der Fall war pkl_178.006 und in Paris; wir haben kein öffentliches Leben, wie pkl_178.007 England, und besitzen daher auch keine Charakterstücke pkl_178.008 von nationalem Werthe; unsere Verhältnisse gestatten pkl_178.009 kein Lustspiel, das im Charakter der Satyre" -- (der pkl_178.010 immer der dem Lustspiel angemessenste und in Hinsicht pkl_178.011 des Erfolgs der ergiebigste ist) -- "einen Gegensatz pkl_178.012 bilde gegen ausgeartete Zustände der Gesellschaft oder pkl_178.013 gegen einen überhobenen Trieb des höheren Lebens; endlich: pkl_178.014 uns fehlte lange eine scharf ausgebildete Tragödie, pkl_178.015 der gegenüber das Lustspiel sich an der Aufhüllung der pkl_178.016 niedern und gemeinen Natur des Menschen künstlerisch pkl_178.017 freut. Ueberall also drängten uns unsere Verhältnisse pkl_178.018 aus dieser Gattung hinweg und doch forderten die pkl_178.019 Bedürfnisse der Bühne, daß auch sie existire." Da hat pkl_178.020 man uns denn Ersatz geboten in Uebersetzungen ausländischer pkl_178.021 Komödien. Daß aber diese Uebersetzungen, pkl_178.022 wilden Fluthen gleich, über uns hereinströmen, daß ein pkl_178.023 und dasselbe Erzeugniß fremder Muse, selbst wenn es pkl_178.024 noch so miserabel an Gehalt ist, oft in zehn, zwölf pkl_178.025 und mehr verschiedenen Uebertragungen uns vorgeführt pkl_178.026 wird -- das liegt nicht allein an dem Mangel guter pkl_178.027 deutscher Originallustspiele, das liegt auch nicht in der pkl_178.028 eingefleischten Vorliebe, die der Deutsche für alles Ausländische pkl_178.029 hat, das liegt zum großen Theil mit -- an pkl_178.030 dem leeren Magen vieler Literaten. Wir wollen nicht, pkl_178.031 wie es uns wohl Bedürfniß wäre, hier über diesen
pkl_178.001 „Durch Verhältnisse,“ sagt Gervinus, „ist allerlei pkl_178.002 Schriftstellerei bedingt. — Wir haben in Deutschland pkl_178.003 keine Hauptstadt und keinen Hof, der den feinen Ton pkl_178.004 für das Jntriguenstück, ja nur für ein höheres Conversationsstück pkl_178.005 angäbe, wie es in Spanien der Fall war pkl_178.006 und in Paris; wir haben kein öffentliches Leben, wie pkl_178.007 England, und besitzen daher auch keine Charakterstücke pkl_178.008 von nationalem Werthe; unsere Verhältnisse gestatten pkl_178.009 kein Lustspiel, das im Charakter der Satyre“ — (der pkl_178.010 immer der dem Lustspiel angemessenste und in Hinsicht pkl_178.011 des Erfolgs der ergiebigste ist) — „einen Gegensatz pkl_178.012 bilde gegen ausgeartete Zustände der Gesellschaft oder pkl_178.013 gegen einen überhobenen Trieb des höheren Lebens; endlich: pkl_178.014 uns fehlte lange eine scharf ausgebildete Tragödie, pkl_178.015 der gegenüber das Lustspiel sich an der Aufhüllung der pkl_178.016 niedern und gemeinen Natur des Menschen künstlerisch pkl_178.017 freut. Ueberall also drängten uns unsere Verhältnisse pkl_178.018 aus dieser Gattung hinweg und doch forderten die pkl_178.019 Bedürfnisse der Bühne, daß auch sie existire.“ Da hat pkl_178.020 man uns denn Ersatz geboten in Uebersetzungen ausländischer pkl_178.021 Komödien. Daß aber diese Uebersetzungen, pkl_178.022 wilden Fluthen gleich, über uns hereinströmen, daß ein pkl_178.023 und dasselbe Erzeugniß fremder Muse, selbst wenn es pkl_178.024 noch so miserabel an Gehalt ist, oft in zehn, zwölf pkl_178.025 und mehr verschiedenen Uebertragungen uns vorgeführt pkl_178.026 wird — das liegt nicht allein an dem Mangel guter pkl_178.027 deutscher Originallustspiele, das liegt auch nicht in der pkl_178.028 eingefleischten Vorliebe, die der Deutsche für alles Ausländische pkl_178.029 hat, das liegt zum großen Theil mit — an pkl_178.030 dem leeren Magen vieler Literaten. Wir wollen nicht, pkl_178.031 wie es uns wohl Bedürfniß wäre, hier über diesen
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England, und besitzen daher auch keine Charakterstücke pkl_178.008
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man uns denn Ersatz geboten in Uebersetzungen ausländischer pkl_178.021
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Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/204>, abgerufen am 16.07.2024.
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