Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

pkl_134.001
denen sie es zu thun hat. Nicht sowohl hervorstechende pkl_134.002
Handlungen, als vielmehr Zustände, und zwar pkl_134.003
Zustände ruhigen Lebens, die weder durch Leidenschaften pkl_134.004
von innen, noch durch grelle Einwirkungen von außen pkl_134.005
gestört werden, sind Gegenstand ihrer Schilderung. -- pkl_134.006
Verwickelung und Künstlichkeit der Verknüpfung sind pkl_134.007
ihrem Wesen zuwider. Die Darstellung muß höchst pkl_134.008
einfach, ganz natürlich, von gesuchten Worten und pkl_134.009
Wendungen frei sein. Deshalb sind auch bei metrischen pkl_134.010
Bearbeitungen -- häufig erscheint die Jdylle in Prosa pkl_134.011
-- künstliche Versmaaße durchaus zu meiden.

pkl_134.012

§. 197. Die Jdylle im engern Sinne -- das pkl_134.013
Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten pkl_134.014
grauen Vorzeit nahm -- ist aus der Mode pkl_134.015
gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der pkl_134.016
Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. "Sie ist," pkl_134.017
wie Gervinus sagt, "nur in solchen Ländern und pkl_134.018
solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte pkl_134.019
ist." Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt, pkl_134.020
die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich Schiller pkl_134.021
(Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus: pkl_134.022
"Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt, pkl_134.023
schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben pkl_134.024
aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie pkl_134.025
uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige pkl_134.026
Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der pkl_134.027
Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung pkl_134.028
aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen pkl_134.029
Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem pkl_134.030
höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist pkl_134.031
und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie

pkl_134.001
denen sie es zu thun hat. Nicht sowohl hervorstechende pkl_134.002
Handlungen, als vielmehr Zustände, und zwar pkl_134.003
Zustände ruhigen Lebens, die weder durch Leidenschaften pkl_134.004
von innen, noch durch grelle Einwirkungen von außen pkl_134.005
gestört werden, sind Gegenstand ihrer Schilderung. — pkl_134.006
Verwickelung und Künstlichkeit der Verknüpfung sind pkl_134.007
ihrem Wesen zuwider. Die Darstellung muß höchst pkl_134.008
einfach, ganz natürlich, von gesuchten Worten und pkl_134.009
Wendungen frei sein. Deshalb sind auch bei metrischen pkl_134.010
Bearbeitungen — häufig erscheint die Jdylle in Prosa pkl_134.011
— künstliche Versmaaße durchaus zu meiden.

pkl_134.012

§. 197. Die Jdylle im engern Sinne — das pkl_134.013
Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten pkl_134.014
grauen Vorzeit nahm — ist aus der Mode pkl_134.015
gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der pkl_134.016
Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. „Sie ist,“ pkl_134.017
wie Gervinus sagt, „nur in solchen Ländern und pkl_134.018
solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte pkl_134.019
ist.“ Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt, pkl_134.020
die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich Schiller pkl_134.021
(Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus: pkl_134.022
„Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt, pkl_134.023
schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben pkl_134.024
aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie pkl_134.025
uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige pkl_134.026
Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der pkl_134.027
Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung pkl_134.028
aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen pkl_134.029
Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem pkl_134.030
höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist pkl_134.031
und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0160" n="134"/><lb n="pkl_134.001"/>
denen sie es zu thun hat. Nicht sowohl hervorstechende <lb n="pkl_134.002"/> <hi rendition="#g">Handlungen,</hi> als vielmehr <hi rendition="#g">Zustände,</hi> und zwar <lb n="pkl_134.003"/>
Zustände ruhigen Lebens, die weder durch Leidenschaften <lb n="pkl_134.004"/>
von innen, noch durch grelle Einwirkungen von außen <lb n="pkl_134.005"/>
gestört werden, sind Gegenstand ihrer Schilderung. &#x2014; <lb n="pkl_134.006"/>
Verwickelung und Künstlichkeit der Verknüpfung sind <lb n="pkl_134.007"/>
ihrem Wesen zuwider. Die Darstellung muß höchst <lb n="pkl_134.008"/>
einfach, ganz natürlich, von gesuchten Worten und <lb n="pkl_134.009"/>
Wendungen frei sein. Deshalb sind auch bei metrischen <lb n="pkl_134.010"/>
Bearbeitungen &#x2014; häufig erscheint die Jdylle in Prosa <lb n="pkl_134.011"/>
&#x2014; künstliche Versmaaße durchaus zu meiden.</p>
              <lb n="pkl_134.012"/>
              <p>  §. 197. Die Jdylle im engern Sinne &#x2014; das <lb n="pkl_134.013"/>
Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten <lb n="pkl_134.014"/>
grauen Vorzeit nahm &#x2014; ist aus der Mode <lb n="pkl_134.015"/>
gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der <lb n="pkl_134.016"/>
Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. &#x201E;Sie ist,&#x201C; <lb n="pkl_134.017"/>
wie <hi rendition="#g">Gervinus</hi> sagt, &#x201E;nur in solchen Ländern und <lb n="pkl_134.018"/>
solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte <lb n="pkl_134.019"/>
ist.&#x201C; Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt, <lb n="pkl_134.020"/>
die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich <hi rendition="#g">Schiller</hi> <lb n="pkl_134.021"/>
(Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus: <lb n="pkl_134.022"/>
&#x201E;Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt, <lb n="pkl_134.023"/>
schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben <lb n="pkl_134.024"/>
aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie <lb n="pkl_134.025"/>
uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige <lb n="pkl_134.026"/>
Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der <lb n="pkl_134.027"/>
Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung <lb n="pkl_134.028"/>
aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen <lb n="pkl_134.029"/>
Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem <lb n="pkl_134.030"/>
höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist     <lb n="pkl_134.031"/>
und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie
</p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[134/0160] pkl_134.001 denen sie es zu thun hat. Nicht sowohl hervorstechende pkl_134.002 Handlungen, als vielmehr Zustände, und zwar pkl_134.003 Zustände ruhigen Lebens, die weder durch Leidenschaften pkl_134.004 von innen, noch durch grelle Einwirkungen von außen pkl_134.005 gestört werden, sind Gegenstand ihrer Schilderung. — pkl_134.006 Verwickelung und Künstlichkeit der Verknüpfung sind pkl_134.007 ihrem Wesen zuwider. Die Darstellung muß höchst pkl_134.008 einfach, ganz natürlich, von gesuchten Worten und pkl_134.009 Wendungen frei sein. Deshalb sind auch bei metrischen pkl_134.010 Bearbeitungen — häufig erscheint die Jdylle in Prosa pkl_134.011 — künstliche Versmaaße durchaus zu meiden. pkl_134.012 §. 197. Die Jdylle im engern Sinne — das pkl_134.013 Schäfergedicht, das seinen Stoff lediglich aus der unkultivirten pkl_134.014 grauen Vorzeit nahm — ist aus der Mode pkl_134.015 gekommen. Der Grund davon liegt zum Theil in der pkl_134.016 Zeit, zum Theil in ihr unmittelbar selbst. „Sie ist,“ pkl_134.017 wie Gervinus sagt, „nur in solchen Ländern und pkl_134.018 solchen Zeiten zu Hause, wo Mangel an bewegter Geschichte pkl_134.019 ist.“ Jnwiefern sie selbst Elemente in sich trägt, pkl_134.020 die ihre Kultur behindern, darüber spricht sich Schiller pkl_134.021 (Ueber naive und sentimentalische Dichtung) also aus: pkl_134.022 „Die Jdylle, vor den Anfang aller Kultur gepflanzt, pkl_134.023 schließt mit den Nachtheilen zugleich alle Vortheile derselben pkl_134.024 aus; sie stellt das Ziel hinter uns, zu dem sie pkl_134.025 uns hinführen soll und kann uns daher bloß das traurige pkl_134.026 Gefühl eines Verlustes, nicht das fröhliche der pkl_134.027 Hoffnung einflößen. Weil sie nur durch Aufhebung pkl_134.028 aller Kunst und nur durch Vereinfachung der menschlichen pkl_134.029 Natur ihren Zweck ausführt, so hat sie, bei dem pkl_134.030 höchsten Gehalt für das Herz, allzuwenig für den Geist pkl_134.031 und ihr einförmiger Kreis ist zu schnell geendigt. Sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/160
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 134. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/160>, abgerufen am 24.11.2024.