Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite
pkl_103.001
VIII. Die Heroide.
pkl_103.002

§. 152. Die Heroide ist in Hinsicht ihres Jnhalts pkl_103.003
der Elegie verwandt. Auch in ihr ist der pkl_103.004
Ton der Wehmuth vorherrschend; auch sie spricht pkl_103.005
entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder pkl_103.006
den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint pkl_103.007
nicht, wie die Elegie, als subjektive Aeußerung pkl_103.008
des Dichters, sondern ist objektiv gehalten. Der pkl_103.009
Dichter läßt nämlich eine historische oder fingirte pkl_103.010
Person
auftreten und dieselbe Empfindungen der pkl_103.011
Sehnsucht
oder der Klage gegen eine andere pkl_103.012
Person
aussprechen. Da die Person, an welche die pkl_103.013
Heroide gerichtet ist, meist entfernt, von der sprechenden pkl_103.014
getrennt ist (-- oft durch den Tod --), so nimmt pkl_103.015
das Gedicht die Form der Epistel (siehe dieselbe!) pkl_103.016
an. -- Das Versmaaß ist meist das sogenannte elegische, pkl_103.017
doch hat man sich auch längerer trochäischer pkl_103.018
oder jambischer Verse und zwar oft in Verbindung pkl_103.019
mit dem Reim bedient.

pkl_103.020

Anmerkung. Der Name Heroide schreibt sich von pkl_103.021
Ovid her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen pkl_103.022
(Heroen, Helden) auftreten. Für uns ist, wie aus pkl_103.023
der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus pkl_103.024
unmaaßgeblich.

pkl_103.025

§. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben pkl_103.026
sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen pkl_103.027
hervor: Wieland, Kosegarten, Eschenburg und pkl_103.028
A. W. Schlegel (Neoptolemus an Diokles).

pkl_103.029
IX. Das Gnomon.
pkl_103.030

§. 154. Das Gnomon (so viel wie Sinnspruch, pkl_103.031
Maxime
) ist ein Gedicht, das einen sinn-

pkl_103.001
VIII. Die Heroide.
pkl_103.002

§. 152. Die Heroide ist in Hinsicht ihres Jnhalts pkl_103.003
der Elegie verwandt. Auch in ihr ist der pkl_103.004
Ton der Wehmuth vorherrschend; auch sie spricht pkl_103.005
entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder pkl_103.006
den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint pkl_103.007
nicht, wie die Elegie, als subjektive Aeußerung pkl_103.008
des Dichters, sondern ist objektiv gehalten. Der pkl_103.009
Dichter läßt nämlich eine historische oder fingirte pkl_103.010
Person
auftreten und dieselbe Empfindungen der pkl_103.011
Sehnsucht
oder der Klage gegen eine andere pkl_103.012
Person
aussprechen. Da die Person, an welche die pkl_103.013
Heroide gerichtet ist, meist entfernt, von der sprechenden pkl_103.014
getrennt ist (— oft durch den Tod —), so nimmt pkl_103.015
das Gedicht die Form der Epistel (siehe dieselbe!) pkl_103.016
an. — Das Versmaaß ist meist das sogenannte elegische, pkl_103.017
doch hat man sich auch längerer trochäischer pkl_103.018
oder jambischer Verse und zwar oft in Verbindung pkl_103.019
mit dem Reim bedient.

pkl_103.020

Anmerkung. Der Name Heroide schreibt sich von pkl_103.021
Ovid her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen pkl_103.022
(Heroen, Helden) auftreten. Für uns ist, wie aus pkl_103.023
der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus pkl_103.024
unmaaßgeblich.

pkl_103.025

§. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben pkl_103.026
sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen pkl_103.027
hervor: Wieland, Kosegarten, Eschenburg und pkl_103.028
A. W. Schlegel (Neoptolemus an Diokles).

pkl_103.029
IX. Das Gnomon.
pkl_103.030

§. 154. Das Gnomon (so viel wie Sinnspruch, pkl_103.031
Maxime
) ist ein Gedicht, das einen sinn-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <pb facs="#f0129" n="103"/>
              <lb n="pkl_103.001"/>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">VIII</hi>. <hi rendition="#g">Die Heroide.</hi></hi> </head>
              <lb n="pkl_103.002"/>
              <p>  §. 152. Die <hi rendition="#g">Heroide</hi> ist in Hinsicht ihres <hi rendition="#g">Jnhalts</hi> <lb n="pkl_103.003"/>
der <hi rendition="#g">Elegie verwandt.</hi> Auch in ihr ist der <lb n="pkl_103.004"/>
Ton der <hi rendition="#g">Wehmuth vorherrschend;</hi> auch sie spricht <lb n="pkl_103.005"/>
entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder <lb n="pkl_103.006"/>
den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint <lb n="pkl_103.007"/>
nicht, wie die Elegie, als <hi rendition="#g">subjektive</hi> Aeußerung <lb n="pkl_103.008"/>
des Dichters, sondern ist <hi rendition="#g">objektiv</hi> gehalten. Der <lb n="pkl_103.009"/>
Dichter läßt nämlich eine <hi rendition="#g">historische</hi> oder <hi rendition="#g">fingirte <lb n="pkl_103.010"/>
Person</hi> auftreten und dieselbe <hi rendition="#g">Empfindungen der <lb n="pkl_103.011"/>
Sehnsucht</hi> oder <hi rendition="#g">der Klage</hi> gegen eine <hi rendition="#g">andere <lb n="pkl_103.012"/>
Person</hi> aussprechen. Da die <hi rendition="#g">Person,</hi> an welche die <lb n="pkl_103.013"/>
Heroide gerichtet ist, meist <hi rendition="#g">entfernt,</hi> von der sprechenden <lb n="pkl_103.014"/> <hi rendition="#g">getrennt</hi> ist (&#x2014; oft durch den Tod &#x2014;), so nimmt <lb n="pkl_103.015"/>
das Gedicht die <hi rendition="#g">Form</hi> der <hi rendition="#g">Epistel</hi> (siehe dieselbe!) <lb n="pkl_103.016"/>
an. &#x2014; Das <hi rendition="#g">Versmaaß</hi> ist meist das sogenannte <hi rendition="#g">elegische,</hi> <lb n="pkl_103.017"/>
doch hat man sich auch <hi rendition="#g">längerer trochäischer</hi> <lb n="pkl_103.018"/>
oder <hi rendition="#g">jambischer</hi> Verse und zwar oft in Verbindung <lb n="pkl_103.019"/>
mit dem <hi rendition="#g">Reim</hi> bedient.</p>
              <lb n="pkl_103.020"/>
              <p><hi rendition="#g">Anmerkung.</hi> Der Name <hi rendition="#g">Heroide</hi> schreibt sich von <lb n="pkl_103.021"/> <hi rendition="#g">Ovid</hi> her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen <lb n="pkl_103.022"/>
(<hi rendition="#g">Heroen, Helden</hi>) auftreten. Für uns ist, wie aus <lb n="pkl_103.023"/>
der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus <lb n="pkl_103.024"/>
unmaaßgeblich.</p>
              <lb n="pkl_103.025"/>
              <p>  §. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben <lb n="pkl_103.026"/>
sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen <lb n="pkl_103.027"/>
hervor: <hi rendition="#g">Wieland, Kosegarten, Eschenburg</hi> und <lb n="pkl_103.028"/>
A. W. <hi rendition="#g">Schlegel</hi> (Neoptolemus an Diokles).</p>
              <lb n="pkl_103.029"/>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#c"><hi rendition="#aq">IX</hi>. <hi rendition="#g">Das Gnomon.</hi></hi> </head>
              <lb n="pkl_103.030"/>
              <p>  §. 154. Das <hi rendition="#g">Gnomon</hi> (so viel wie <hi rendition="#g">Sinnspruch, <lb n="pkl_103.031"/>
Maxime</hi>) ist ein Gedicht, das <hi rendition="#g">einen sinn-
</hi></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[103/0129] pkl_103.001 VIII. Die Heroide. pkl_103.002 §. 152. Die Heroide ist in Hinsicht ihres Jnhalts pkl_103.003 der Elegie verwandt. Auch in ihr ist der pkl_103.004 Ton der Wehmuth vorherrschend; auch sie spricht pkl_103.005 entweder die Klage über einen erlittenen Verlust, oder pkl_103.006 den Schmerz vergeblicher Sehnsucht aus. Aber sie erscheint pkl_103.007 nicht, wie die Elegie, als subjektive Aeußerung pkl_103.008 des Dichters, sondern ist objektiv gehalten. Der pkl_103.009 Dichter läßt nämlich eine historische oder fingirte pkl_103.010 Person auftreten und dieselbe Empfindungen der pkl_103.011 Sehnsucht oder der Klage gegen eine andere pkl_103.012 Person aussprechen. Da die Person, an welche die pkl_103.013 Heroide gerichtet ist, meist entfernt, von der sprechenden pkl_103.014 getrennt ist (— oft durch den Tod —), so nimmt pkl_103.015 das Gedicht die Form der Epistel (siehe dieselbe!) pkl_103.016 an. — Das Versmaaß ist meist das sogenannte elegische, pkl_103.017 doch hat man sich auch längerer trochäischer pkl_103.018 oder jambischer Verse und zwar oft in Verbindung pkl_103.019 mit dem Reim bedient. pkl_103.020 Anmerkung. Der Name Heroide schreibt sich von pkl_103.021 Ovid her, da in dessen Heroiden ausgezeichnete historische Personen pkl_103.022 (Heroen, Helden) auftreten. Für uns ist, wie aus pkl_103.023 der obigen Charakteristik hervorgeht, die Benennung durchaus pkl_103.024 unmaaßgeblich. pkl_103.025 §. 153. Nur sehr wenige unserer Dichter haben pkl_103.026 sich in der Heroide versucht; unter diesen wenigen ragen pkl_103.027 hervor: Wieland, Kosegarten, Eschenburg und pkl_103.028 A. W. Schlegel (Neoptolemus an Diokles). pkl_103.029 IX. Das Gnomon. pkl_103.030 §. 154. Das Gnomon (so viel wie Sinnspruch, pkl_103.031 Maxime) ist ein Gedicht, das einen sinn-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Sandra Richter: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/129
Zitationshilfe: Kleinpaul, Ernst: Die Lehre von den Formen und Gattungen der deutschen Dichtkunst. Für höhere Lehranstalten, so wie zum Selbstunterricht. Barmen, 1843, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kleinpaul_poetik_1843/129>, abgerufen am 07.05.2024.