Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.sagte; Dann gehören wir ja erst recht zusammen; sei munter, mein Mädchen, nun heirathen wir in vierzehn Tagen. Ach, sagte Margret, du willst als Soldat eine Frau haben? Hab' ich ein Kind, antwortete Nikola, so will ich auch die Mutter dazu haben. Aber was werden die Leute sagen, wenn ich im Trauerjahr meines Vaters heirathe? Die laß du reden, was sie wollen, erwiderte der junge Mann. Besser gegen die Sitte anstoßen, als die Ehre verlieren. Und wenn du erst meine Frau bist, so möcht' ich doch Den sehen, der über des Schultheißen Nikola Frau zu mucken wagte. Und nun dürfen wir keine Zeit verlieren. Du mußt deine Papiere schaffen, und ich muß meines Vaters Einwilligung haben. Komm! Die Papiere! Dieß Wort ist schon manchem jungen Brautpaar ein Schrecken geworden. Die französische Gesetzgebung, welche am Rheine herrscht, hat mit großem Verstande den Eigensinn der Eltern bei Verheirathung ihrer Kinder beschränkt, indem sie dem Volljährigen nach gewissen Formalitäten das Recht giebt, auch ohne Einwilligung der Eltern die Ehe zu schließen. Aber auf Einem Punkt schleppt jene Gesetzgebung eine unleidliche und lächerliche Freiheitsbeschränkung nach: sie rückt, wenn die Eltern todt sind, in deren Rechte die Großeltern ein und fordert, ehe die Trauung gestattet sagte; Dann gehören wir ja erst recht zusammen; sei munter, mein Mädchen, nun heirathen wir in vierzehn Tagen. Ach, sagte Margret, du willst als Soldat eine Frau haben? Hab' ich ein Kind, antwortete Nikola, so will ich auch die Mutter dazu haben. Aber was werden die Leute sagen, wenn ich im Trauerjahr meines Vaters heirathe? Die laß du reden, was sie wollen, erwiderte der junge Mann. Besser gegen die Sitte anstoßen, als die Ehre verlieren. Und wenn du erst meine Frau bist, so möcht' ich doch Den sehen, der über des Schultheißen Nikola Frau zu mucken wagte. Und nun dürfen wir keine Zeit verlieren. Du mußt deine Papiere schaffen, und ich muß meines Vaters Einwilligung haben. Komm! Die Papiere! Dieß Wort ist schon manchem jungen Brautpaar ein Schrecken geworden. Die französische Gesetzgebung, welche am Rheine herrscht, hat mit großem Verstande den Eigensinn der Eltern bei Verheirathung ihrer Kinder beschränkt, indem sie dem Volljährigen nach gewissen Formalitäten das Recht giebt, auch ohne Einwilligung der Eltern die Ehe zu schließen. Aber auf Einem Punkt schleppt jene Gesetzgebung eine unleidliche und lächerliche Freiheitsbeschränkung nach: sie rückt, wenn die Eltern todt sind, in deren Rechte die Großeltern ein und fordert, ehe die Trauung gestattet <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0032"/> sagte; Dann gehören wir ja erst recht zusammen; sei munter, mein Mädchen, nun heirathen wir in vierzehn Tagen.</p><lb/> <p>Ach, sagte Margret, du willst als Soldat eine Frau haben?</p><lb/> <p>Hab' ich ein Kind, antwortete Nikola, so will ich auch die Mutter dazu haben.</p><lb/> <p>Aber was werden die Leute sagen, wenn ich im Trauerjahr meines Vaters heirathe?</p><lb/> <p>Die laß du reden, was sie wollen, erwiderte der junge Mann. Besser gegen die Sitte anstoßen, als die Ehre verlieren. Und wenn du erst meine Frau bist, so möcht' ich doch Den sehen, der über des Schultheißen Nikola Frau zu mucken wagte. Und nun dürfen wir keine Zeit verlieren. Du mußt deine Papiere schaffen, und ich muß meines Vaters Einwilligung haben. Komm!</p><lb/> <p>Die Papiere! Dieß Wort ist schon manchem jungen Brautpaar ein Schrecken geworden. Die französische Gesetzgebung, welche am Rheine herrscht, hat mit großem Verstande den Eigensinn der Eltern bei Verheirathung ihrer Kinder beschränkt, indem sie dem Volljährigen nach gewissen Formalitäten das Recht giebt, auch ohne Einwilligung der Eltern die Ehe zu schließen. Aber auf Einem Punkt schleppt jene Gesetzgebung eine unleidliche und lächerliche Freiheitsbeschränkung nach: sie rückt, wenn die Eltern todt sind, in deren Rechte die Großeltern ein und fordert, ehe die Trauung gestattet<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0032]
sagte; Dann gehören wir ja erst recht zusammen; sei munter, mein Mädchen, nun heirathen wir in vierzehn Tagen.
Ach, sagte Margret, du willst als Soldat eine Frau haben?
Hab' ich ein Kind, antwortete Nikola, so will ich auch die Mutter dazu haben.
Aber was werden die Leute sagen, wenn ich im Trauerjahr meines Vaters heirathe?
Die laß du reden, was sie wollen, erwiderte der junge Mann. Besser gegen die Sitte anstoßen, als die Ehre verlieren. Und wenn du erst meine Frau bist, so möcht' ich doch Den sehen, der über des Schultheißen Nikola Frau zu mucken wagte. Und nun dürfen wir keine Zeit verlieren. Du mußt deine Papiere schaffen, und ich muß meines Vaters Einwilligung haben. Komm!
Die Papiere! Dieß Wort ist schon manchem jungen Brautpaar ein Schrecken geworden. Die französische Gesetzgebung, welche am Rheine herrscht, hat mit großem Verstande den Eigensinn der Eltern bei Verheirathung ihrer Kinder beschränkt, indem sie dem Volljährigen nach gewissen Formalitäten das Recht giebt, auch ohne Einwilligung der Eltern die Ehe zu schließen. Aber auf Einem Punkt schleppt jene Gesetzgebung eine unleidliche und lächerliche Freiheitsbeschränkung nach: sie rückt, wenn die Eltern todt sind, in deren Rechte die Großeltern ein und fordert, ehe die Trauung gestattet
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Zitationshilfe: | Kinkel, Gottfried: Margret. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 4. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 199–262. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kinkel_margret_1910/32>, abgerufen am 27.07.2024. |