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Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6).

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Gleiche Bildung für Mann und Frau! allein aus dem einzigen Grunde, weil es danach verlangt. Denn seine und Eure Menschenrechte sind dieselben, und das edelste dieser Rechte ist das auf Bildung, mag diese Bildung auch die allergelehrteste der Welt sein. Denn der Geist ist Gottes, und Euch hat Gott nicht zu dessen Kerkermeistern er nannt!" Wie gesagt, schon heute bei uns in Deutschland so sprechen zu wollen, wäre thöricht; denn wer eine solche Verpflichtung noch nicht ein mal zu fühlen vermag, der kann doch auch noch nicht nach ihren Geboten handeln. Solche höchste Anforderungen der Civilisation zu erfüllen, müssen wir einer erleuchteten Zukunft überlassen; einer Zukunft, deren erste Strahlen soeben beginnen, die Dämmerung unserer Tage zu erhellen. Wir müssen einstweilen mit dem rechnen, was heute existiert, und das ist der unbeug same Wille des Mannes, der Frau nur so viel von ihrem rechtmäßigen Eigentum herauszugeben, als ihm für sich selbst vorteilhaft erscheint. Jch wundere mich häufig, daß man von dem Manne einzelne Äußerungen einer Eigenschaft erwartet, die er gar nicht besitzt, ich meine die Eigenschaft, die Angelegenheiten der Frau von einem andern Standpunkt als dem seines persönlichen Vorteils zu betrachten und demgemäß zu erledigen. Doch ich möchte nicht ungenau sein, ich will daher nicht behaupten, daß der Mann nur seinen persönlichen Vorteil im Auge habe; nein, auch den der Gesammtheit Gesamtheit . Aber, bitte, bemerken Sie, nur den der Ge samtheit der Männer, nicht den der ganzen Menschheit. Vom Stand punkt des Vorteils der Gesamtheit der Männer aus regelt er die Zu stände der Gesamtheit der Menschen, wobei es ihm natürlich sehr leicht passiert, daß er glaubt, die Gesamtheit der Menschen befände sich sehr wohl, wenn es nur die Gesamtheit der Männer thut. Da wir nun aber doch die Gesamtheit der Menschen als ein Ganzes betrachten müssen und die Gesamtheit der Männer sowohl wie die der Frauen als Teile dieses Ganzen, so scheint es mir sehr selbstverständlich, daß die Benachteiligung eines dieser Teile den Gesamtorganismus schädigen muß. Und da von der Gesundheit des Gesamtorganismus doch wieder die Gesundheit aller einzelnen Teile abhängt, so leidet natürlich der eine Teil, die Gesamtheit der Männer, mit unter dem Schaden, den der andere Teil, die Gesamt heit der Frauen erleidet. Wenn wir nun beweisen könnten, daß die Benachteiligung der Frauen die Gesamtheit der Menschen, also auch der Männer, schädigen muß - was meinen Sie, verehrte Anwesende, würde der Mann sich dann nicht vielleicht bereit finden lassen, die Mittel gütigst zu bewilligen, die ihn vor diesem Schaden zu behüten vermöchten?
Gleiche Bildung für Mann und Frau! allein aus dem einzigen Grunde, weil es danach verlangt. Denn seine und Eure Menschenrechte sind dieselben, und das edelste dieser Rechte ist das auf Bildung, mag diese Bildung auch die allergelehrteste der Welt sein. Denn der Geist ist Gottes, und Euch hat Gott nicht zu dessen Kerkermeistern er­ nannt!“ Wie gesagt, schon heute bei uns in Deutschland so sprechen zu wollen, wäre thöricht; denn wer eine solche Verpflichtung noch nicht ein­ mal zu fühlen vermag, der kann doch auch noch nicht nach ihren Geboten handeln. Solche höchste Anforderungen der Civilisation zu erfüllen, müssen wir einer erleuchteten Zukunft überlassen; einer Zukunft, deren erste Strahlen soeben beginnen, die Dämmerung unserer Tage zu erhellen. Wir müssen einstweilen mit dem rechnen, was heute existiert, und das ist der unbeug­ same Wille des Mannes, der Frau nur so viel von ihrem rechtmäßigen Eigentum herauszugeben, als ihm für sich selbst vorteilhaft erscheint. Jch wundere mich häufig, daß man von dem Manne einzelne Äußerungen einer Eigenschaft erwartet, die er gar nicht besitzt, ich meine die Eigenschaft, die Angelegenheiten der Frau von einem andern Standpunkt als dem seines persönlichen Vorteils zu betrachten und demgemäß zu erledigen. Doch ich möchte nicht ungenau sein, ich will daher nicht behaupten, daß der Mann nur seinen persönlichen Vorteil im Auge habe; nein, auch den der Gesammtheit Gesamtheit . Aber, bitte, bemerken Sie, nur den der Ge­ samtheit der Männer, nicht den der ganzen Menschheit. Vom Stand­ punkt des Vorteils der Gesamtheit der Männer aus regelt er die Zu­ stände der Gesamtheit der Menschen, wobei es ihm natürlich sehr leicht passiert, daß er glaubt, die Gesamtheit der Menschen befände sich sehr wohl, wenn es nur die Gesamtheit der Männer thut. Da wir nun aber doch die Gesamtheit der Menschen als ein Ganzes betrachten müssen und die Gesamtheit der Männer sowohl wie die der Frauen als Teile dieses Ganzen, so scheint es mir sehr selbstverständlich, daß die Benachteiligung eines dieser Teile den Gesamtorganismus schädigen muß. Und da von der Gesundheit des Gesamtorganismus doch wieder die Gesundheit aller einzelnen Teile abhängt, so leidet natürlich der eine Teil, die Gesamtheit der Männer, mit unter dem Schaden, den der andere Teil, die Gesamt­ heit der Frauen erleidet. Wenn wir nun beweisen könnten, daß die Benachteiligung der Frauen die Gesamtheit der Menschen, also auch der Männer, schädigen muß – was meinen Sie, verehrte Anwesende, würde der Mann sich dann nicht vielleicht bereit finden lassen, die Mittel gütigst zu bewilligen, die ihn vor diesem Schaden zu behüten vermöchten?
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Zitationshilfe: Kettler, Hedwig Johanna: Gleiche Bildung für Mann und Frau! Weimar, 1891 (= Bibliothek der Frauenfrage, Bd. 6), S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kettler_bildung_1891/7>, abgerufen am 28.03.2024.