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Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

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Der Wassermann.

Es war in des Mayen lindem Glanz,
Da hielten die Jungfern von Tübingen Tanz,
Sie tanzten und tanzten wohl allzumal
Um eine Linde im grünen Thal.
Ein fremder Jüngling in stolzem Kleid
Sich wandte bald zu der schönsten Maid,
Er reicht ihr dar die Hände zum Tanz,
Er setzt ihr auf's Haar einen meergrünen Kranz.
O Jüngling! warum ist so kalt dein Arm?
In Neckars Tiefen da ist's nicht warm.
O Jüngling! warum ist so bleich deine Hand?
In's Wasser dringt nicht der Sonne Brand!
Er tanzt mit ihr von der Linde weit.
Laß Jüngling! horch, die Mutter mir schreit!
Er tanzt mit ihr den Neckar entlang:
Laß Jüngling! weh! mir wird so bang!
Er faßt sie fest um den schlanken Leib.
Schön Maid! du bist des Wassermanns Weib!
Er tanzt mit ihr in die Wellen hinein:
O Vater und o du Mutter mein!
Er führt sie in einen krystallenen Saal:
Ade, ihr Schwestern im grünen Thal!

Der Waſſermann.

Es war in des Mayen lindem Glanz,
Da hielten die Jungfern von Tuͤbingen Tanz,
Sie tanzten und tanzten wohl allzumal
Um eine Linde im gruͤnen Thal.
Ein fremder Juͤngling in ſtolzem Kleid
Sich wandte bald zu der ſchoͤnſten Maid,
Er reicht ihr dar die Haͤnde zum Tanz,
Er ſetzt ihr auf's Haar einen meergruͤnen Kranz.
O Juͤngling! warum iſt ſo kalt dein Arm?
In Neckars Tiefen da iſt's nicht warm.
O Juͤngling! warum iſt ſo bleich deine Hand?
In's Waſſer dringt nicht der Sonne Brand!
Er tanzt mit ihr von der Linde weit.
Laß Juͤngling! horch, die Mutter mir ſchreit!
Er tanzt mit ihr den Neckar entlang:
Laß Juͤngling! weh! mir wird ſo bang!
Er faßt ſie feſt um den ſchlanken Leib.
Schoͤn Maid! du biſt des Waſſermanns Weib!
Er tanzt mit ihr in die Wellen hinein:
O Vater und o du Mutter mein!
Er fuͤhrt ſie in einen kryſtallenen Saal:
Ade, ihr Schweſtern im gruͤnen Thal!

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[56/0068] Der Waſſermann. Es war in des Mayen lindem Glanz, Da hielten die Jungfern von Tuͤbingen Tanz, Sie tanzten und tanzten wohl allzumal Um eine Linde im gruͤnen Thal. Ein fremder Juͤngling in ſtolzem Kleid Sich wandte bald zu der ſchoͤnſten Maid, Er reicht ihr dar die Haͤnde zum Tanz, Er ſetzt ihr auf's Haar einen meergruͤnen Kranz. O Juͤngling! warum iſt ſo kalt dein Arm? In Neckars Tiefen da iſt's nicht warm. O Juͤngling! warum iſt ſo bleich deine Hand? In's Waſſer dringt nicht der Sonne Brand! Er tanzt mit ihr von der Linde weit. Laß Juͤngling! horch, die Mutter mir ſchreit! Er tanzt mit ihr den Neckar entlang: Laß Juͤngling! weh! mir wird ſo bang! Er faßt ſie feſt um den ſchlanken Leib. Schoͤn Maid! du biſt des Waſſermanns Weib! Er tanzt mit ihr in die Wellen hinein: O Vater und o du Mutter mein! Er fuͤhrt ſie in einen kryſtallenen Saal: Ade, ihr Schweſtern im gruͤnen Thal!

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/68>, abgerufen am 28.04.2024.