Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.
Die Lilien, die senken schon ihr Haupt -- Vor allen Blumen möcht' ich die nicht missen. Der Gärtner. Doch scheinen sie im Blühen schon entlaubt. Elsbeth. Ihr Leben ist ein stetes Verblüh'n -- Der Gärtner. Ist Liebe. Elsbeth. Aber die Rosen, seht an, Die sind doch beliebt bey Jedermann! Warum? Der Gärtner. Weil sie für alle freudig glüh'n, Gleichgültig ihnen, wer sie bricht. Elsbeth. Die Rosen sind Frauen -- Der Gärtner. Und die lieben nicht. Die Frau erscheint. Die Frau. (für sich.) Wie kam er doch so ganz zerstört nach Haus! Bleich, abgemattet, schrecklich sah er aus; Gleich einem Vogel, den ein Sturm verschlug, Und ihn in einer Nacht vom Süd- zum Nordpol trug. Lang stund er still, antwortend keinen Fragen, Doch endlich sprang er auf, und fiel mir um den Leib, Und sprach mit Thränen: sterbe, gutes Weib! Da brach ich aus in Schluchzen und in Klagen. --
Die Lilien, die ſenken ſchon ihr Haupt — Vor allen Blumen moͤcht' ich die nicht miſſen. Der Gaͤrtner. Doch ſcheinen ſie im Bluͤhen ſchon entlaubt. Elsbeth. Ihr Leben iſt ein ſtetes Verbluͤh'n — Der Gaͤrtner. Iſt Liebe. Elsbeth. Aber die Roſen, ſeht an, Die ſind doch beliebt bey Jedermann! Warum? Der Gaͤrtner. Weil ſie fuͤr alle freudig gluͤh'n, Gleichguͤltig ihnen, wer ſie bricht. Elsbeth. Die Roſen ſind Frauen — Der Gaͤrtner. Und die lieben nicht. Die Frau erſcheint. Die Frau. (fuͤr ſich.) Wie kam er doch ſo ganz zerſtoͤrt nach Haus! Bleich, abgemattet, ſchrecklich ſah er aus; Gleich einem Vogel, den ein Sturm verſchlug, Und ihn in einer Nacht vom Suͤd- zum Nordpol trug. Lang ſtund er ſtill, antwortend keinen Fragen, Doch endlich ſprang er auf, und fiel mir um den Leib, Und ſprach mit Thraͤnen: ſterbe, gutes Weib! Da brach ich aus in Schluchzen und in Klagen. — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp> <p><pb facs="#f0229" n="217"/> Die Lilien, die ſenken ſchon ihr Haupt —<lb/> Vor allen Blumen moͤcht' ich die nicht miſſen.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Der Gaͤrtner</hi>.</speaker><lb/> <p>Doch ſcheinen ſie im Bluͤhen ſchon entlaubt.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Elsbeth</hi>.</speaker><lb/> <p>Ihr Leben iſt ein ſtetes Verbluͤh'n —</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Der Gaͤrtner</hi>.</speaker><lb/> <p>Iſt Liebe.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Elsbeth</hi>.</speaker><lb/> <p>Aber die Roſen, ſeht an,<lb/> Die ſind doch beliebt bey Jedermann!<lb/> Warum?</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Der Gaͤrtner</hi>.</speaker><lb/> <p>Weil ſie fuͤr alle freudig gluͤh'n,<lb/> Gleichguͤltig ihnen, wer ſie bricht.</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Elsbeth</hi>.</speaker><lb/> <p>Die Roſen ſind Frauen —</p> </sp><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Der Gaͤrtner</hi>.</speaker><lb/> <p>Und die lieben nicht.</p> </sp><lb/> <stage><hi rendition="#g">Die Frau</hi> erſcheint.</stage><lb/> <sp> <speaker><hi rendition="#g">Die Frau</hi>.</speaker> <stage> (fuͤr ſich.)</stage><lb/> <p>Wie kam er doch ſo ganz zerſtoͤrt nach Haus!<lb/> Bleich, abgemattet, ſchrecklich ſah er aus;<lb/> Gleich einem Vogel, den ein Sturm verſchlug,<lb/> Und ihn in einer Nacht vom Suͤd- zum Nordpol trug.<lb/> Lang ſtund er ſtill, antwortend keinen Fragen,<lb/> Doch endlich ſprang er auf, und fiel mir um den Leib,<lb/> Und ſprach mit Thraͤnen: ſterbe, gutes Weib!<lb/> Da brach ich aus in Schluchzen und in Klagen. —<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [217/0229]
Die Lilien, die ſenken ſchon ihr Haupt —
Vor allen Blumen moͤcht' ich die nicht miſſen.
Der Gaͤrtner.
Doch ſcheinen ſie im Bluͤhen ſchon entlaubt.
Elsbeth.
Ihr Leben iſt ein ſtetes Verbluͤh'n —
Der Gaͤrtner.
Iſt Liebe.
Elsbeth.
Aber die Roſen, ſeht an,
Die ſind doch beliebt bey Jedermann!
Warum?
Der Gaͤrtner.
Weil ſie fuͤr alle freudig gluͤh'n,
Gleichguͤltig ihnen, wer ſie bricht.
Elsbeth.
Die Roſen ſind Frauen —
Der Gaͤrtner.
Und die lieben nicht.
Die Frau erſcheint.
Die Frau. (fuͤr ſich.)
Wie kam er doch ſo ganz zerſtoͤrt nach Haus!
Bleich, abgemattet, ſchrecklich ſah er aus;
Gleich einem Vogel, den ein Sturm verſchlug,
Und ihn in einer Nacht vom Suͤd- zum Nordpol trug.
Lang ſtund er ſtill, antwortend keinen Fragen,
Doch endlich ſprang er auf, und fiel mir um den Leib,
Und ſprach mit Thraͤnen: ſterbe, gutes Weib!
Da brach ich aus in Schluchzen und in Klagen. —
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Zitationshilfe: | Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/229>, abgerufen am 22.07.2024. |