Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826.

Bild:
<< vorherige Seite
Kaiser Rudolfs Ritt zum Grabe.

Auf der Burg zu Germersheim,
Stark am Geist, am Leibe schwach,
Sitzt der greise Kaiser Rudolf
Spielend das gewohnte Schach.
Und er spricht: "ihr guten Meister!
Aerzte! sagt mir ohne Zagen:
Wann aus dem zerbrochenen Leib
Wird der Geist zu Gott getragen?"
Und die Meister sprechen: "Herr!
Wohl noch heut erscheint die Stunde."
Freundlich lächelnd spricht der Greis:
"Meister! Dank für diese Kunde!"
"Auf nach Speyer! auf nach Speyer!"
Ruft er, als das Spiel geendet,
"Wo so mancher deutsche Held
"Liegt begraben, sey's vollendet!
"Blast die Hörner! bringt das Roß,
Das mich oft zur Schlacht getragen!"
Zaudernd stehn die Diener all',
Doch er ruft: "folgt ohne Zagen!"
Kaiſer Rudolfs Ritt zum Grabe.

Auf der Burg zu Germersheim,
Stark am Geiſt, am Leibe ſchwach,
Sitzt der greiſe Kaiſer Rudolf
Spielend das gewohnte Schach.
Und er ſpricht: „ihr guten Meiſter!
Aerzte! ſagt mir ohne Zagen:
Wann aus dem zerbrochenen Leib
Wird der Geiſt zu Gott getragen?“
Und die Meiſter ſprechen: „Herr!
Wohl noch heut erſcheint die Stunde.“
Freundlich laͤchelnd ſpricht der Greis:
„Meiſter! Dank fuͤr dieſe Kunde!“
„Auf nach Speyer! auf nach Speyer!“
Ruft er, als das Spiel geendet,
„Wo ſo mancher deutſche Held
„Liegt begraben, ſey's vollendet!
„Blast die Hoͤrner! bringt das Roß,
Das mich oft zur Schlacht getragen!“
Zaudernd ſtehn die Diener all',
Doch er ruft: „folgt ohne Zagen!“
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0107" n="95"/>
      <lg type="poem">
        <head><hi rendition="#g">Kai&#x017F;er Rudolfs Ritt zum Grabe</hi>.</head><lb/>
        <l>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        </l>
        <lg n="1">
          <l>Auf der Burg zu Germersheim,</l><lb/>
          <l>Stark am Gei&#x017F;t, am Leibe &#x017F;chwach,</l><lb/>
          <l>Sitzt der grei&#x017F;e Kai&#x017F;er Rudolf</l><lb/>
          <l>Spielend das gewohnte Schach.</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="2">
          <l>Und er &#x017F;pricht: &#x201E;ihr guten Mei&#x017F;ter!</l><lb/>
          <l>Aerzte! &#x017F;agt mir ohne Zagen:</l><lb/>
          <l>Wann aus dem zerbrochenen Leib</l><lb/>
          <l>Wird der Gei&#x017F;t zu Gott getragen?&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="3">
          <l>Und die Mei&#x017F;ter &#x017F;prechen: &#x201E;Herr!</l><lb/>
          <l>Wohl noch heut er&#x017F;cheint die Stunde.&#x201C;</l><lb/>
          <l>Freundlich la&#x0364;chelnd &#x017F;pricht der Greis:</l><lb/>
          <l>&#x201E;Mei&#x017F;ter! Dank fu&#x0364;r die&#x017F;e Kunde!&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="4">
          <l>&#x201E;Auf nach Speyer! auf nach Speyer!&#x201C;</l><lb/>
          <l>Ruft er, als das Spiel geendet,</l><lb/>
          <l>&#x201E;Wo &#x017F;o mancher deut&#x017F;che Held</l><lb/>
          <l>&#x201E;Liegt begraben, &#x017F;ey's vollendet!</l>
        </lg><lb/>
        <lg n="5">
          <l>&#x201E;Blast die Ho&#x0364;rner! bringt das Roß,</l><lb/>
          <l>Das mich oft zur Schlacht getragen!&#x201C;</l><lb/>
          <l>Zaudernd &#x017F;tehn die Diener all',</l><lb/>
          <l>Doch er ruft: &#x201E;folgt ohne Zagen!&#x201C;</l>
        </lg><lb/>
        <l>
</l>
      </lg>
    </body>
  </text>
</TEI>
[95/0107] Kaiſer Rudolfs Ritt zum Grabe. Auf der Burg zu Germersheim, Stark am Geiſt, am Leibe ſchwach, Sitzt der greiſe Kaiſer Rudolf Spielend das gewohnte Schach. Und er ſpricht: „ihr guten Meiſter! Aerzte! ſagt mir ohne Zagen: Wann aus dem zerbrochenen Leib Wird der Geiſt zu Gott getragen?“ Und die Meiſter ſprechen: „Herr! Wohl noch heut erſcheint die Stunde.“ Freundlich laͤchelnd ſpricht der Greis: „Meiſter! Dank fuͤr dieſe Kunde!“ „Auf nach Speyer! auf nach Speyer!“ Ruft er, als das Spiel geendet, „Wo ſo mancher deutſche Held „Liegt begraben, ſey's vollendet! „Blast die Hoͤrner! bringt das Roß, Das mich oft zur Schlacht getragen!“ Zaudernd ſtehn die Diener all', Doch er ruft: „folgt ohne Zagen!“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/107
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Gedichte. Stuttgart u. a., 1826, S. 95. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_gedichte_1826/107>, abgerufen am 25.11.2024.