Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834."Am Freitage den 22. März 1833, Nachmittags um 2 Durch diese früheren Vorfälle in Weinsberg vorbereitet, Von Dr. Kerner erfuhr ich, daß diese Person eine glück- 6 *
„Am Freitage den 22. März 1833, Nachmittags um 2 Durch dieſe früheren Vorfälle in Weinsberg vorbereitet, Von Dr. Kerner erfuhr ich, daß dieſe Perſon eine glück- 6 *
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0097" n="83"/> <p>„Am Freitage den 22. März 1833, Nachmittags um 2<lb/> Uhr, ſah ich bey meinem Freunde <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi></hi> Kerner in Weinsberg,<lb/> zum erſtenmal eine Kranke höchſt eigenthümlicher und merk-<lb/> würdiger Art, von der ich ſchon in Stuttgart und Tübingen<lb/> hatte reden hören, ohne daß ich mir von dem Zuſtande<lb/> derſelben ein anſchauliches Bild entwerfen konnte. Zwey<lb/> junge Aerzte in Tübingen hatten mir zwar von dem Zu-<lb/> ſtande einer Kranken ähnlicher Art, eines jungen Mäd-<lb/> chens aus Orlach, welches ſie ſelbſt ebenfalls bey dem <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi></hi><lb/> Kerner einige Wochen zuvor beobachtet, mancherley erzählt,<lb/> was mit dem mir ſpäter zu Geſicht gekommenen Berichte,<lb/> den ein Augenzeuge in Nro. 81 Didaskalia vom 22. März<lb/> 1833, Beilage zum Frankfurter Journal, erſtattete, im We-<lb/> ſentlichen ganz übereinſtimmte. Allein es war ihnen eben<lb/> ſo wenig gelungen, mich über den Zuſtand jenes Mädchens<lb/> auch nur einigermaßen ins Klare zu bringen, als es mir<lb/> oder jedem andern Augenzeugen gelingen wird, einen ſol-<lb/> chen unbegreiflichen Zuſtand anſchaulich zu beſchreiben.</p><lb/> <p>Durch dieſe früheren Vorfälle in Weinsberg vorbereitet,<lb/> beobachtete ich mit deſto größerer Aufmerkſamkeit die Erſchei-<lb/> nungen, die mir die Krankheit der U. aus J. darbot.</p><lb/> <p>Von <hi rendition="#b"><hi rendition="#aq">Dr.</hi></hi> Kerner erfuhr ich, daß dieſe Perſon eine glück-<lb/> lich verheirathete Frau und Mutter von drey Kindern, jetzt<lb/> etwa ſechs und dreißig Jahre alt, ſchon ſeit vier Jahren<lb/> von einer Krankheit befallen ſey, welche durch keine ärztliche<lb/> Vorkehrungen gehoben oder auch nur gemindert werden konnte.<lb/> Aus ihr ſprachen während der Dauer dieſer Krankheit mit<lb/> wenig Unterbrechung nach einander drey Geiſter verſtorbener<lb/> Menſchen, ſo daß, wenn Einer ausgetrieben ſchien, der<lb/> Andere ſogleich ſeine Stelle einnahm. Alle aber bekannten<lb/> mit dämoniſcher Stimme die Verbrechen und Schandthaten,<lb/> die ſie während des Lebens größtentheils im Geheimen ver-<lb/> übten. Sie ſelber wußte in ihrem natürlichen Zuſtande<lb/> anfänglich von dieſen Dämonen gar nichts, bis ſie davon<lb/> durch Augen- und Ohren-Zeugen in Kenntniß geſetzt wurde.<lb/> Von da an fürchtete ſie ſich vor ſolchen Anfällen weit mehr<lb/> <fw place="bottom" type="sig">6 *</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [83/0097]
„Am Freitage den 22. März 1833, Nachmittags um 2
Uhr, ſah ich bey meinem Freunde Dr. Kerner in Weinsberg,
zum erſtenmal eine Kranke höchſt eigenthümlicher und merk-
würdiger Art, von der ich ſchon in Stuttgart und Tübingen
hatte reden hören, ohne daß ich mir von dem Zuſtande
derſelben ein anſchauliches Bild entwerfen konnte. Zwey
junge Aerzte in Tübingen hatten mir zwar von dem Zu-
ſtande einer Kranken ähnlicher Art, eines jungen Mäd-
chens aus Orlach, welches ſie ſelbſt ebenfalls bey dem Dr.
Kerner einige Wochen zuvor beobachtet, mancherley erzählt,
was mit dem mir ſpäter zu Geſicht gekommenen Berichte,
den ein Augenzeuge in Nro. 81 Didaskalia vom 22. März
1833, Beilage zum Frankfurter Journal, erſtattete, im We-
ſentlichen ganz übereinſtimmte. Allein es war ihnen eben
ſo wenig gelungen, mich über den Zuſtand jenes Mädchens
auch nur einigermaßen ins Klare zu bringen, als es mir
oder jedem andern Augenzeugen gelingen wird, einen ſol-
chen unbegreiflichen Zuſtand anſchaulich zu beſchreiben.
Durch dieſe früheren Vorfälle in Weinsberg vorbereitet,
beobachtete ich mit deſto größerer Aufmerkſamkeit die Erſchei-
nungen, die mir die Krankheit der U. aus J. darbot.
Von Dr. Kerner erfuhr ich, daß dieſe Perſon eine glück-
lich verheirathete Frau und Mutter von drey Kindern, jetzt
etwa ſechs und dreißig Jahre alt, ſchon ſeit vier Jahren
von einer Krankheit befallen ſey, welche durch keine ärztliche
Vorkehrungen gehoben oder auch nur gemindert werden konnte.
Aus ihr ſprachen während der Dauer dieſer Krankheit mit
wenig Unterbrechung nach einander drey Geiſter verſtorbener
Menſchen, ſo daß, wenn Einer ausgetrieben ſchien, der
Andere ſogleich ſeine Stelle einnahm. Alle aber bekannten
mit dämoniſcher Stimme die Verbrechen und Schandthaten,
die ſie während des Lebens größtentheils im Geheimen ver-
übten. Sie ſelber wußte in ihrem natürlichen Zuſtande
anfänglich von dieſen Dämonen gar nichts, bis ſie davon
durch Augen- und Ohren-Zeugen in Kenntniß geſetzt wurde.
Von da an fürchtete ſie ſich vor ſolchen Anfällen weit mehr
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