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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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zweifeln. Auch in Frankfurt würde wohl ein guter Va-
ter lieber sein Haus (und besonders ein solches Haus)
abbrechen und wieder neu bauen lassen, als seine Toch-
ter in das Kranken- oder Pflegehaus zu bringen, denn
ob es gleich eine sonderbare Kur ist, die bis jetzt noch
wohl in keinem Recept verschrieben wurde, daß man durch
den Abbruch von Häusern Kranke heilt; so ist doch sehr
zu bezweifeln, ob das Mädchen ganz gesund geworden
wäre, wenn nicht auch dieser Idee Genüge geleistet wor-
den wäre, besonders wenn man sie, wie die Redaktion,
nur als eine fixe Idee betrachtete: und diese Heilung, diese
Rettung eines Menschen, war wohl den Abbruch eines al-
ten Bauernhauses werth. Wenn sich die Redaktion bei den
Frankfurtern nach dem Hohenloh'schen erkundigen will, so
wird sie die Antwort erhalten: Es ist das Land, dem wir
das beste Rindfleisch und auch vieles Repsöl verdanken; aber
von einem besondern Hohenloh'schen Aberglauben, nament-
lich unter dem Volke Hohenlohs, da wird wohl gewiß
Niemand etwas wissen. Die Redaktion beginnt ihre Er-
klärung mit den Voraussetzungen: "In ihrer Kindheit hatte
das Mädchen gewiß viel gehört von alten Klöstern, von
schwarzen Mönchen und weißen Nonnen, von Teufeln und
Hexenspuk, von Verdammnissen und Erlösungen." Diesen
Eckstein der Beleuchtungs-Hypothese muß ich nach den ge-
nauesten Erkundigungen und meinen eigenen Erfahrungen
verwerfen.

Ich kenne das Landvolk in unserer Gegend mit seinem
Glauben und Aberglauben genau, und kann versichern, daß
in unserer protestantischen Gegend das Volk nichts von alten
Klöstern, schwarzen Mönchen und weißen Nonnen weiß --
ja daß, wenn man es auf die Probe ankommen lassen will,
man finden wird, daß die meisten Bauernpursche und Bauern-
mädchen nicht einmal wissen, was Klöster, Mönche und
Nonnen sind, was besonders bei diesem Mädchen der Fall war.

Eben so kann ich versichern, daß namentlich in dem Fa-
milienkreis dieses Mädchens solche Erzählungen durchaus

zweifeln. Auch in Frankfurt würde wohl ein guter Va-
ter lieber ſein Haus (und beſonders ein ſolches Haus)
abbrechen und wieder neu bauen laſſen, als ſeine Toch-
ter in das Kranken- oder Pflegehaus zu bringen, denn
ob es gleich eine ſonderbare Kur iſt, die bis jetzt noch
wohl in keinem Recept verſchrieben wurde, daß man durch
den Abbruch von Häuſern Kranke heilt; ſo iſt doch ſehr
zu bezweifeln, ob das Mädchen ganz geſund geworden
wäre, wenn nicht auch dieſer Idee Genüge geleiſtet wor-
den wäre, beſonders wenn man ſie, wie die Redaktion,
nur als eine fixe Idee betrachtete: und dieſe Heilung, dieſe
Rettung eines Menſchen, war wohl den Abbruch eines al-
ten Bauernhauſes werth. Wenn ſich die Redaktion bei den
Frankfurtern nach dem Hohenloh’ſchen erkundigen will, ſo
wird ſie die Antwort erhalten: Es iſt das Land, dem wir
das beſte Rindfleiſch und auch vieles Repsöl verdanken; aber
von einem beſondern Hohenloh’ſchen Aberglauben, nament-
lich unter dem Volke Hohenlohs, da wird wohl gewiß
Niemand etwas wiſſen. Die Redaktion beginnt ihre Er-
klärung mit den Vorausſetzungen: „In ihrer Kindheit hatte
das Mädchen gewiß viel gehört von alten Klöſtern, von
ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen, von Teufeln und
Hexenſpuk, von Verdammniſſen und Erlöſungen.“ Dieſen
Eckſtein der Beleuchtungs-Hypotheſe muß ich nach den ge-
naueſten Erkundigungen und meinen eigenen Erfahrungen
verwerfen.

Ich kenne das Landvolk in unſerer Gegend mit ſeinem
Glauben und Aberglauben genau, und kann verſichern, daß
in unſerer proteſtantiſchen Gegend das Volk nichts von alten
Klöſtern, ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen weiß —
ja daß, wenn man es auf die Probe ankommen laſſen will,
man finden wird, daß die meiſten Bauernpurſche und Bauern-
mädchen nicht einmal wiſſen, was Klöſter, Mönche und
Nonnen ſind, was beſonders bei dieſem Mädchen der Fall war.

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[63/0077] zweifeln. Auch in Frankfurt würde wohl ein guter Va- ter lieber ſein Haus (und beſonders ein ſolches Haus) abbrechen und wieder neu bauen laſſen, als ſeine Toch- ter in das Kranken- oder Pflegehaus zu bringen, denn ob es gleich eine ſonderbare Kur iſt, die bis jetzt noch wohl in keinem Recept verſchrieben wurde, daß man durch den Abbruch von Häuſern Kranke heilt; ſo iſt doch ſehr zu bezweifeln, ob das Mädchen ganz geſund geworden wäre, wenn nicht auch dieſer Idee Genüge geleiſtet wor- den wäre, beſonders wenn man ſie, wie die Redaktion, nur als eine fixe Idee betrachtete: und dieſe Heilung, dieſe Rettung eines Menſchen, war wohl den Abbruch eines al- ten Bauernhauſes werth. Wenn ſich die Redaktion bei den Frankfurtern nach dem Hohenloh’ſchen erkundigen will, ſo wird ſie die Antwort erhalten: Es iſt das Land, dem wir das beſte Rindfleiſch und auch vieles Repsöl verdanken; aber von einem beſondern Hohenloh’ſchen Aberglauben, nament- lich unter dem Volke Hohenlohs, da wird wohl gewiß Niemand etwas wiſſen. Die Redaktion beginnt ihre Er- klärung mit den Vorausſetzungen: „In ihrer Kindheit hatte das Mädchen gewiß viel gehört von alten Klöſtern, von ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen, von Teufeln und Hexenſpuk, von Verdammniſſen und Erlöſungen.“ Dieſen Eckſtein der Beleuchtungs-Hypotheſe muß ich nach den ge- naueſten Erkundigungen und meinen eigenen Erfahrungen verwerfen. Ich kenne das Landvolk in unſerer Gegend mit ſeinem Glauben und Aberglauben genau, und kann verſichern, daß in unſerer proteſtantiſchen Gegend das Volk nichts von alten Klöſtern, ſchwarzen Mönchen und weißen Nonnen weiß — ja daß, wenn man es auf die Probe ankommen laſſen will, man finden wird, daß die meiſten Bauernpurſche und Bauern- mädchen nicht einmal wiſſen, was Klöſter, Mönche und Nonnen ſind, was beſonders bei dieſem Mädchen der Fall war. Eben ſo kann ich verſichern, daß namentlich in dem Fa- milienkreis dieſes Mädchens ſolche Erzählungen durchaus

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/77>, abgerufen am 28.04.2024.