der letzte gewesen ist. Sie blieb seither ganz gesund und keine Spur von Geistererscheinungen oder somnambulen Zu- fällen zeigen sich mehr. Erst vor einigen Wochen wurde sie wieder von einer Krankheit befallen, durch welche sie am Sprechen gehindert wurde, und über welche der Her- ausgeber dieser Blätter eben Auskunft gab. Diese Krank- heit ist aber in so fern merkwürdig, als sich dabey keine Spur ihrer frühern Erscheinungen des Besessenseyns, der Gei- ster u. s. w. mehr zeigten; ein Beweis, daß dieses Mädchen krank seyn kann, ohne solche Crscheinungen zu haben, wie man hätte vermuthen sollen. Wenn Alles nur Folge ihres krankhaften Körpers war, warum stellten sich diese Erschei- nungen nicht mit der Krankheit wieder ein?
Die Redaktion beginnt ihre Beleuchtung mit den Wor- ten: "Das Hohenloh'sche ist bekanntermaßen ein Land, in welchem noch viel Aberglauben herrscht." Daß im Ho- henloh'schen viel Aberglauben herrscht, will ich nicht bestrei- ten, aber das Wörtchen bekanntermaßen deutet darauf hin, wie wenn das Land durch seinen Aberglauben bekannt wäre, oder wie wenn es sich dadurch auszeichnete. Man wird es mir verzeihen, wenn ich diese Beschuldigung von meinem lieben Hohenloh'schen Ländchen abzuwälzen suche.
Von dem Aberglauben gilt, was vom Reich Gottes --, man kann nicht sagen, siehe hier ist er, oder da ist er, denn er ist inwendig im Menschen, so weit auf Erden Men- schen wohnen. Wir finden ihn in den Hütten der Wilden wie in den Salons der gebildetsten Hauptstädte der Welt, er wohnt an der Spree wie an der Seine, und wird wohl auch in Frankfurt seyn. Führen wir gen Himmel, so ist er da, und fliegt als Drache auf Sternschnuppen herum, segeln wir auf den Wellen des Meeres, so schwimmt er auf dem schauerlichen Geisterschiff, betteten wir uns in den Schooß der Erde, so schickt er uns seine Kobolde und Berg- geister entgegen, denn er hat das Weltall mit seinen Ge- stalten bevölkert. Der Aberglaube ist so alt, wie die Mensch- heit. Er stand in Asien an der Wiege des Menschenge-
der letzte geweſen iſt. Sie blieb ſeither ganz geſund und keine Spur von Geiſtererſcheinungen oder ſomnambulen Zu- fällen zeigen ſich mehr. Erſt vor einigen Wochen wurde ſie wieder von einer Krankheit befallen, durch welche ſie am Sprechen gehindert wurde, und über welche der Her- ausgeber dieſer Blätter eben Auskunft gab. Dieſe Krank- heit iſt aber in ſo fern merkwürdig, als ſich dabey keine Spur ihrer frühern Erſcheinungen des Beſeſſenſeyns, der Gei- ſter u. ſ. w. mehr zeigten; ein Beweis, daß dieſes Mädchen krank ſeyn kann, ohne ſolche Crſcheinungen zu haben, wie man hätte vermuthen ſollen. Wenn Alles nur Folge ihres krankhaften Körpers war, warum ſtellten ſich dieſe Erſchei- nungen nicht mit der Krankheit wieder ein?
Die Redaktion beginnt ihre Beleuchtung mit den Wor- ten: „Das Hohenloh’ſche iſt bekanntermaßen ein Land, in welchem noch viel Aberglauben herrſcht.“ Daß im Ho- henloh’ſchen viel Aberglauben herrſcht, will ich nicht beſtrei- ten, aber das Wörtchen bekanntermaßen deutet darauf hin, wie wenn das Land durch ſeinen Aberglauben bekannt wäre, oder wie wenn es ſich dadurch auszeichnete. Man wird es mir verzeihen, wenn ich dieſe Beſchuldigung von meinem lieben Hohenloh’ſchen Ländchen abzuwälzen ſuche.
Von dem Aberglauben gilt, was vom Reich Gottes —, man kann nicht ſagen, ſiehe hier iſt er, oder da iſt er, denn er iſt inwendig im Menſchen, ſo weit auf Erden Men- ſchen wohnen. Wir finden ihn in den Hütten der Wilden wie in den Salons der gebildetſten Hauptſtädte der Welt, er wohnt an der Spree wie an der Seine, und wird wohl auch in Frankfurt ſeyn. Führen wir gen Himmel, ſo iſt er da, und fliegt als Drache auf Sternſchnuppen herum, ſegeln wir auf den Wellen des Meeres, ſo ſchwimmt er auf dem ſchauerlichen Geiſterſchiff, betteten wir uns in den Schooß der Erde, ſo ſchickt er uns ſeine Kobolde und Berg- geiſter entgegen, denn er hat das Weltall mit ſeinen Ge- ſtalten bevölkert. Der Aberglaube iſt ſo alt, wie die Menſch- heit. Er ſtand in Aſien an der Wiege des Menſchenge-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0075"n="61"/>
der <hirendition="#g">letzte</hi> geweſen iſt. Sie blieb ſeither ganz geſund und<lb/>
keine Spur von Geiſtererſcheinungen oder ſomnambulen Zu-<lb/>
fällen zeigen ſich mehr. Erſt vor einigen Wochen wurde<lb/>ſie wieder von einer Krankheit befallen, durch welche ſie<lb/>
am Sprechen gehindert wurde, und über welche der Her-<lb/>
ausgeber dieſer Blätter eben Auskunft gab. Dieſe Krank-<lb/>
heit iſt aber in ſo fern merkwürdig, als ſich dabey keine<lb/>
Spur ihrer frühern Erſcheinungen des Beſeſſenſeyns, der Gei-<lb/>ſter u. ſ. w. mehr zeigten; ein Beweis, daß dieſes Mädchen<lb/>
krank ſeyn kann, ohne ſolche Crſcheinungen zu haben, wie<lb/>
man hätte vermuthen ſollen. Wenn Alles nur Folge ihres<lb/>
krankhaften Körpers war, warum ſtellten ſich dieſe Erſchei-<lb/>
nungen nicht mit der Krankheit wieder ein?</p><lb/><p>Die Redaktion beginnt ihre Beleuchtung mit den Wor-<lb/>
ten: „Das Hohenloh’ſche iſt <hirendition="#g">bekanntermaßen</hi> ein Land,<lb/>
in welchem noch viel Aberglauben herrſcht.“ Daß im Ho-<lb/>
henloh’ſchen viel Aberglauben herrſcht, will ich nicht beſtrei-<lb/>
ten, aber das Wörtchen <hirendition="#g">bekanntermaßen</hi> deutet darauf<lb/>
hin, wie wenn das Land durch ſeinen Aberglauben bekannt<lb/>
wäre, oder wie wenn es ſich dadurch auszeichnete. Man<lb/>
wird es mir verzeihen, wenn ich dieſe Beſchuldigung von<lb/>
meinem lieben Hohenloh’ſchen Ländchen abzuwälzen ſuche.</p><lb/><p>Von dem Aberglauben gilt, was vom Reich Gottes —,<lb/>
man kann nicht ſagen, ſiehe hier iſt er, oder da iſt er,<lb/>
denn er iſt inwendig im Menſchen, ſo weit auf Erden Men-<lb/>ſchen wohnen. Wir finden ihn in den Hütten der Wilden<lb/>
wie in den Salons der gebildetſten Hauptſtädte der Welt,<lb/>
er wohnt an der Spree wie an der Seine, und wird wohl<lb/>
auch in Frankfurt ſeyn. Führen wir gen Himmel, ſo iſt<lb/>
er da, und fliegt als Drache auf Sternſchnuppen herum,<lb/>ſegeln wir auf den Wellen des Meeres, ſo ſchwimmt er<lb/>
auf dem ſchauerlichen Geiſterſchiff, betteten wir uns in den<lb/>
Schooß der Erde, ſo ſchickt er uns ſeine Kobolde und Berg-<lb/>
geiſter entgegen, denn er hat das Weltall mit ſeinen Ge-<lb/>ſtalten bevölkert. Der Aberglaube iſt ſo alt, wie die Menſch-<lb/>
heit. Er ſtand in Aſien an der Wiege des Menſchenge-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[61/0075]
der letzte geweſen iſt. Sie blieb ſeither ganz geſund und
keine Spur von Geiſtererſcheinungen oder ſomnambulen Zu-
fällen zeigen ſich mehr. Erſt vor einigen Wochen wurde
ſie wieder von einer Krankheit befallen, durch welche ſie
am Sprechen gehindert wurde, und über welche der Her-
ausgeber dieſer Blätter eben Auskunft gab. Dieſe Krank-
heit iſt aber in ſo fern merkwürdig, als ſich dabey keine
Spur ihrer frühern Erſcheinungen des Beſeſſenſeyns, der Gei-
ſter u. ſ. w. mehr zeigten; ein Beweis, daß dieſes Mädchen
krank ſeyn kann, ohne ſolche Crſcheinungen zu haben, wie
man hätte vermuthen ſollen. Wenn Alles nur Folge ihres
krankhaften Körpers war, warum ſtellten ſich dieſe Erſchei-
nungen nicht mit der Krankheit wieder ein?
Die Redaktion beginnt ihre Beleuchtung mit den Wor-
ten: „Das Hohenloh’ſche iſt bekanntermaßen ein Land,
in welchem noch viel Aberglauben herrſcht.“ Daß im Ho-
henloh’ſchen viel Aberglauben herrſcht, will ich nicht beſtrei-
ten, aber das Wörtchen bekanntermaßen deutet darauf
hin, wie wenn das Land durch ſeinen Aberglauben bekannt
wäre, oder wie wenn es ſich dadurch auszeichnete. Man
wird es mir verzeihen, wenn ich dieſe Beſchuldigung von
meinem lieben Hohenloh’ſchen Ländchen abzuwälzen ſuche.
Von dem Aberglauben gilt, was vom Reich Gottes —,
man kann nicht ſagen, ſiehe hier iſt er, oder da iſt er,
denn er iſt inwendig im Menſchen, ſo weit auf Erden Men-
ſchen wohnen. Wir finden ihn in den Hütten der Wilden
wie in den Salons der gebildetſten Hauptſtädte der Welt,
er wohnt an der Spree wie an der Seine, und wird wohl
auch in Frankfurt ſeyn. Führen wir gen Himmel, ſo iſt
er da, und fliegt als Drache auf Sternſchnuppen herum,
ſegeln wir auf den Wellen des Meeres, ſo ſchwimmt er
auf dem ſchauerlichen Geiſterſchiff, betteten wir uns in den
Schooß der Erde, ſo ſchickt er uns ſeine Kobolde und Berg-
geiſter entgegen, denn er hat das Weltall mit ſeinen Ge-
ſtalten bevölkert. Der Aberglaube iſt ſo alt, wie die Menſch-
heit. Er ſtand in Aſien an der Wiege des Menſchenge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/75>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.