Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Imagination Einfluß auf ihre Zufriedenheit haben kann,
ist eben so gewiß, als daß ein grillenhafter Mensch sich
befriedigt fühlt, wenn ein Gebäude abgebrochen wird, des-
sen Anblick ihn geärgert hat. Daß der Mönch gegen ein
Haus wüthete, welches in seinen Fundamenten noch die
stummen Zeugen seiner Missethaten enthielt, ist so unglaub-
lich nicht. Auch ihm konnte geholfen werden, ohne den
Abbruch dieses Hauses; aber er wollte es nun einmal zer-
stört wissen, und plagte so lange, bis es geschehen, dessen
für seine Einwirkung empfängliche junge Bewohnerin. Von
da an glaubte er sich beruhigen zu können, oder fand we-
nigstens keinen Anlaß mehr, die Hausbewohner in Schrecken
zu setzen. Wer weiß nicht, daß ein Missethäter gern Al-
les zernichtet, was ihn vor Gott und seinem Gewissen an-
klagt? Wäre die weniger schuldige Nonne nicht schon auf
andere Weise zur Buße gelangt gewesen, so hätte der Haus-
abbruch sie nicht entsündigt; aber es trug wesentlich zu
ihrer Stellung bey, theils der Erinnerung halben an sich,
theils in ihrem Zusammenhang mit dem Mönch. Man denke
sich doch diese im Gericht stehenden Seelen höchst empfind-
lich, stets mit ihrer Schuld beschäftigt, bis in's Kleinste
sorgsam, oder auch wüthend, sie auszulöschen, dabey un-
klar, verworren, je nach dem Zustand ihrer Verdammniß
und nach dem hiernach sich bemessenden Grad ihres Be-
wußtseyns, ihrer Besinnung oder Geistesgegenwart, daher
oft nur trachtend auf eine verkehrte Weise und durch neue
Bosheiten ihren Muth zu kühlen. Ihre Vorstellungen sind
ihre Qualen oder ihr Trost, bis sie das Licht der Wahr-
heit gefunden haben."

Der Denkgläubige meint: Die religiösen Ansichten über
das zukünftige Leben, welche wir unsern Somnambülen und
unsern Geistern verdanken, seyen so trostlos, daß sie die
Schrecken des Todes uns wiederbringen, welche doch Jesus
nach den Aussprüchen der h. Schrift vernichtet habe.

Der Freund antwortet: "Für wen hat sie Jesus vernich-
tet? Für die, welche mit der That und Wahrheit an ihn

4 *

Imagination Einfluß auf ihre Zufriedenheit haben kann,
iſt eben ſo gewiß, als daß ein grillenhafter Menſch ſich
befriedigt fühlt, wenn ein Gebäude abgebrochen wird, deſ-
ſen Anblick ihn geärgert hat. Daß der Mönch gegen ein
Haus wüthete, welches in ſeinen Fundamenten noch die
ſtummen Zeugen ſeiner Miſſethaten enthielt, iſt ſo unglaub-
lich nicht. Auch ihm konnte geholfen werden, ohne den
Abbruch dieſes Hauſes; aber er wollte es nun einmal zer-
ſtört wiſſen, und plagte ſo lange, bis es geſchehen, deſſen
für ſeine Einwirkung empfängliche junge Bewohnerin. Von
da an glaubte er ſich beruhigen zu können, oder fand we-
nigſtens keinen Anlaß mehr, die Hausbewohner in Schrecken
zu ſetzen. Wer weiß nicht, daß ein Miſſethäter gern Al-
les zernichtet, was ihn vor Gott und ſeinem Gewiſſen an-
klagt? Wäre die weniger ſchuldige Nonne nicht ſchon auf
andere Weiſe zur Buße gelangt geweſen, ſo hätte der Haus-
abbruch ſie nicht entſündigt; aber es trug weſentlich zu
ihrer Stellung bey, theils der Erinnerung halben an ſich,
theils in ihrem Zuſammenhang mit dem Mönch. Man denke
ſich doch dieſe im Gericht ſtehenden Seelen höchſt empfind-
lich, ſtets mit ihrer Schuld beſchäftigt, bis in’s Kleinſte
ſorgſam, oder auch wüthend, ſie auszulöſchen, dabey un-
klar, verworren, je nach dem Zuſtand ihrer Verdammniß
und nach dem hiernach ſich bemeſſenden Grad ihres Be-
wußtſeyns, ihrer Beſinnung oder Geiſtesgegenwart, daher
oft nur trachtend auf eine verkehrte Weiſe und durch neue
Bosheiten ihren Muth zu kühlen. Ihre Vorſtellungen ſind
ihre Qualen oder ihr Troſt, bis ſie das Licht der Wahr-
heit gefunden haben.“

Der Denkgläubige meint: Die religiöſen Anſichten über
das zukünftige Leben, welche wir unſern Somnambülen und
unſern Geiſtern verdanken, ſeyen ſo troſtlos, daß ſie die
Schrecken des Todes uns wiederbringen, welche doch Jeſus
nach den Ausſprüchen der h. Schrift vernichtet habe.

Der Freund antwortet: „Für wen hat ſie Jeſus vernich-
tet? Für die, welche mit der That und Wahrheit an ihn

4 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0065" n="51"/>
Imagination Einfluß auf ihre Zufriedenheit haben kann,<lb/>
i&#x017F;t eben &#x017F;o gewiß, als daß ein grillenhafter Men&#x017F;ch &#x017F;ich<lb/>
befriedigt fühlt, wenn ein Gebäude abgebrochen wird, de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en Anblick ihn geärgert hat. Daß der Mönch gegen ein<lb/>
Haus wüthete, welches in &#x017F;einen Fundamenten noch die<lb/>
&#x017F;tummen Zeugen &#x017F;einer Mi&#x017F;&#x017F;ethaten enthielt, i&#x017F;t &#x017F;o unglaub-<lb/>
lich nicht. Auch ihm konnte geholfen werden, ohne den<lb/>
Abbruch die&#x017F;es Hau&#x017F;es; aber er wollte es nun einmal zer-<lb/>
&#x017F;tört wi&#x017F;&#x017F;en, und plagte &#x017F;o lange, bis es ge&#x017F;chehen, de&#x017F;&#x017F;en<lb/>
für &#x017F;eine Einwirkung empfängliche junge Bewohnerin. Von<lb/>
da an glaubte er &#x017F;ich beruhigen zu können, oder fand we-<lb/>
nig&#x017F;tens keinen Anlaß mehr, die Hausbewohner in Schrecken<lb/>
zu &#x017F;etzen. Wer weiß nicht, daß ein Mi&#x017F;&#x017F;ethäter gern Al-<lb/>
les zernichtet, was ihn vor Gott und &#x017F;einem Gewi&#x017F;&#x017F;en an-<lb/>
klagt? Wäre die weniger &#x017F;chuldige Nonne nicht &#x017F;chon auf<lb/>
andere Wei&#x017F;e zur Buße gelangt gewe&#x017F;en, &#x017F;o hätte der Haus-<lb/>
abbruch &#x017F;ie nicht ent&#x017F;ündigt; aber es trug we&#x017F;entlich zu<lb/>
ihrer Stellung bey, theils der Erinnerung halben an &#x017F;ich,<lb/>
theils in ihrem Zu&#x017F;ammenhang mit dem Mönch. Man denke<lb/>
&#x017F;ich doch die&#x017F;e im Gericht &#x017F;tehenden Seelen höch&#x017F;t empfind-<lb/>
lich, &#x017F;tets mit ihrer Schuld be&#x017F;chäftigt, bis in&#x2019;s Klein&#x017F;te<lb/>
&#x017F;org&#x017F;am, oder auch wüthend, &#x017F;ie auszulö&#x017F;chen, dabey un-<lb/>
klar, verworren, je nach dem Zu&#x017F;tand ihrer Verdammniß<lb/>
und nach dem hiernach &#x017F;ich beme&#x017F;&#x017F;enden Grad ihres Be-<lb/>
wußt&#x017F;eyns, ihrer Be&#x017F;innung oder Gei&#x017F;tesgegenwart, daher<lb/>
oft nur trachtend auf eine verkehrte Wei&#x017F;e und durch neue<lb/>
Bosheiten ihren Muth zu kühlen. Ihre Vor&#x017F;tellungen &#x017F;ind<lb/>
ihre Qualen oder ihr Tro&#x017F;t, bis &#x017F;ie das Licht der Wahr-<lb/>
heit gefunden haben.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Denkgläubige meint: Die religiö&#x017F;en An&#x017F;ichten über<lb/>
das zukünftige Leben, welche wir un&#x017F;ern Somnambülen und<lb/>
un&#x017F;ern Gei&#x017F;tern verdanken, &#x017F;eyen &#x017F;o tro&#x017F;tlos, daß &#x017F;ie die<lb/>
Schrecken des Todes uns wiederbringen, welche doch Je&#x017F;us<lb/>
nach den Aus&#x017F;prüchen der h. Schrift vernichtet habe.</p><lb/>
        <p>Der Freund antwortet: &#x201E;Für wen hat &#x017F;ie Je&#x017F;us vernich-<lb/>
tet? Für die, welche mit der That und Wahrheit an ihn<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">4 *</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0065] Imagination Einfluß auf ihre Zufriedenheit haben kann, iſt eben ſo gewiß, als daß ein grillenhafter Menſch ſich befriedigt fühlt, wenn ein Gebäude abgebrochen wird, deſ- ſen Anblick ihn geärgert hat. Daß der Mönch gegen ein Haus wüthete, welches in ſeinen Fundamenten noch die ſtummen Zeugen ſeiner Miſſethaten enthielt, iſt ſo unglaub- lich nicht. Auch ihm konnte geholfen werden, ohne den Abbruch dieſes Hauſes; aber er wollte es nun einmal zer- ſtört wiſſen, und plagte ſo lange, bis es geſchehen, deſſen für ſeine Einwirkung empfängliche junge Bewohnerin. Von da an glaubte er ſich beruhigen zu können, oder fand we- nigſtens keinen Anlaß mehr, die Hausbewohner in Schrecken zu ſetzen. Wer weiß nicht, daß ein Miſſethäter gern Al- les zernichtet, was ihn vor Gott und ſeinem Gewiſſen an- klagt? Wäre die weniger ſchuldige Nonne nicht ſchon auf andere Weiſe zur Buße gelangt geweſen, ſo hätte der Haus- abbruch ſie nicht entſündigt; aber es trug weſentlich zu ihrer Stellung bey, theils der Erinnerung halben an ſich, theils in ihrem Zuſammenhang mit dem Mönch. Man denke ſich doch dieſe im Gericht ſtehenden Seelen höchſt empfind- lich, ſtets mit ihrer Schuld beſchäftigt, bis in’s Kleinſte ſorgſam, oder auch wüthend, ſie auszulöſchen, dabey un- klar, verworren, je nach dem Zuſtand ihrer Verdammniß und nach dem hiernach ſich bemeſſenden Grad ihres Be- wußtſeyns, ihrer Beſinnung oder Geiſtesgegenwart, daher oft nur trachtend auf eine verkehrte Weiſe und durch neue Bosheiten ihren Muth zu kühlen. Ihre Vorſtellungen ſind ihre Qualen oder ihr Troſt, bis ſie das Licht der Wahr- heit gefunden haben.“ Der Denkgläubige meint: Die religiöſen Anſichten über das zukünftige Leben, welche wir unſern Somnambülen und unſern Geiſtern verdanken, ſeyen ſo troſtlos, daß ſie die Schrecken des Todes uns wiederbringen, welche doch Jeſus nach den Ausſprüchen der h. Schrift vernichtet habe. Der Freund antwortet: „Für wen hat ſie Jeſus vernich- tet? Für die, welche mit der That und Wahrheit an ihn 4 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/65
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/65>, abgerufen am 24.11.2024.