Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

dicinischen Dissertation über Monomanie und den nervus
vagus
und sympathicus, geeignet machen.

Von meiner Seite übrigens wird es am besten gethan
seyn, blos bei der getreuen Geschichtserzählung stehen zu
bleiben und nur das noch dieser Geschichte beizufügen, was
einige andere Männer, die zum Theil auch Augenzeugen von
ihr waren, als Räsonnement über sie öffentlich äußerten
oder mir zum Gebrauche mittheilten.

"Merkwürdig ist es," schreibt Hr. Gerber, "daß man
bey all diesen Geistergeschichten eine Familienähnlichkeit nicht
mißkennen kann, welche auf etwas Wahres, das ihnen allen
zu Grunde liegt, schließen läßt. Und zwar zeigt sich diese
Aehnlichkeit in den verschiedensten Gegenden, wo auch nicht
die geringste Verabredung oder Nachahmung, oder sonst ein
Einfluß gedacht werden kann. Wie ähnlich sind nicht diese
Geistererscheinungen in Orlach mit denen in der Seherin
von Prevorst erzählten? Wie dort so oft, sind es zwey
Geister, ein guter und ein böser, ein Verführer und eine
Verführte, welche erscheinen, wie dort und beynahe in allen
diesen Geschichten dieselbe Sehnsucht nach Erlösung bey dem
lichtern, gebesserten Theil, dieselbe moralische Muthlosig-
keit und starre Verstockung der dunkeln Erscheinungen. Selbst
die so gewöhnlichen thierischen Gestalten, in welchen sich
der schwarze Geist zeigte, sollten sie nicht Bild seiner nie-
drigen thierischen Natur seyn? Durchgehends findet sich,
daß unmoralische Wesen in dunkeln Hüllen, bessere in lich-
ten Gestalten erscheinen; eben so oft kommt es vor, daß
solche Geister Bibelsprüche und Liederverse anführen und
wünschen, daß man für sie beten möchte. So unbegreiflich
das Anbrennen des Tuchs in der Hand des Mädchens,
bey der Berührung des weißen Geistes, uns vorkommt, so
hat dieser Fall in den Geistererscheinungen zu viele analoge
Fälle, um sie wegstreiten zu können, und ich kenne die Fa-
milie genau, in welcher die Bibel aufbewahrt wird, welche
der Großvater aus den Händen eines Geistes erhielt, und
in welcher die eingebrannten Spuren einer feurigen Hand

diciniſchen Diſſertation über Monomanie und den nervus
vagus
und sympathicus, geeignet machen.

Von meiner Seite übrigens wird es am beſten gethan
ſeyn, blos bei der getreuen Geſchichtserzählung ſtehen zu
bleiben und nur das noch dieſer Geſchichte beizufügen, was
einige andere Männer, die zum Theil auch Augenzeugen von
ihr waren, als Räſonnement über ſie öffentlich äußerten
oder mir zum Gebrauche mittheilten.

„Merkwürdig iſt es,“ ſchreibt Hr. Gerber, „daß man
bey all dieſen Geiſtergeſchichten eine Familienähnlichkeit nicht
mißkennen kann, welche auf etwas Wahres, das ihnen allen
zu Grunde liegt, ſchließen läßt. Und zwar zeigt ſich dieſe
Aehnlichkeit in den verſchiedenſten Gegenden, wo auch nicht
die geringſte Verabredung oder Nachahmung, oder ſonſt ein
Einfluß gedacht werden kann. Wie ähnlich ſind nicht dieſe
Geiſtererſcheinungen in Orlach mit denen in der Seherin
von Prevorſt erzählten? Wie dort ſo oft, ſind es zwey
Geiſter, ein guter und ein böſer, ein Verführer und eine
Verführte, welche erſcheinen, wie dort und beynahe in allen
dieſen Geſchichten dieſelbe Sehnſucht nach Erlöſung bey dem
lichtern, gebeſſerten Theil, dieſelbe moraliſche Muthloſig-
keit und ſtarre Verſtockung der dunkeln Erſcheinungen. Selbſt
die ſo gewöhnlichen thieriſchen Geſtalten, in welchen ſich
der ſchwarze Geiſt zeigte, ſollten ſie nicht Bild ſeiner nie-
drigen thieriſchen Natur ſeyn? Durchgehends findet ſich,
daß unmoraliſche Weſen in dunkeln Hüllen, beſſere in lich-
ten Geſtalten erſcheinen; eben ſo oft kommt es vor, daß
ſolche Geiſter Bibelſprüche und Liederverſe anführen und
wünſchen, daß man für ſie beten möchte. So unbegreiflich
das Anbrennen des Tuchs in der Hand des Mädchens,
bey der Berührung des weißen Geiſtes, uns vorkommt, ſo
hat dieſer Fall in den Geiſtererſcheinungen zu viele analoge
Fälle, um ſie wegſtreiten zu können, und ich kenne die Fa-
milie genau, in welcher die Bibel aufbewahrt wird, welche
der Großvater aus den Händen eines Geiſtes erhielt, und
in welcher die eingebrannten Spuren einer feurigen Hand

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0061" n="47"/>
dicini&#x017F;chen Di&#x017F;&#x017F;ertation über Monomanie und den <hi rendition="#aq">nervus<lb/>
vagus</hi> und <hi rendition="#aq">sympathicus,</hi> geeignet machen.</p><lb/>
        <p>Von meiner Seite übrigens wird es am be&#x017F;ten gethan<lb/>
&#x017F;eyn, blos bei der getreuen Ge&#x017F;chichtserzählung &#x017F;tehen zu<lb/>
bleiben und nur das noch die&#x017F;er Ge&#x017F;chichte beizufügen, was<lb/>
einige andere Männer, die zum Theil auch Augenzeugen von<lb/>
ihr waren, als Rä&#x017F;onnement über &#x017F;ie öffentlich äußerten<lb/>
oder mir zum Gebrauche mittheilten.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Merkwürdig i&#x017F;t es,&#x201C; &#x017F;chreibt Hr. <hi rendition="#g">Gerber</hi>, &#x201E;daß man<lb/>
bey all die&#x017F;en Gei&#x017F;terge&#x017F;chichten eine Familienähnlichkeit nicht<lb/>
mißkennen kann, welche auf etwas Wahres, das ihnen allen<lb/>
zu Grunde liegt, &#x017F;chließen läßt. Und zwar zeigt &#x017F;ich die&#x017F;e<lb/>
Aehnlichkeit in den ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Gegenden, wo auch nicht<lb/>
die gering&#x017F;te Verabredung oder Nachahmung, oder &#x017F;on&#x017F;t ein<lb/>
Einfluß gedacht werden kann. Wie ähnlich &#x017F;ind nicht die&#x017F;e<lb/>
Gei&#x017F;terer&#x017F;cheinungen in Orlach mit denen in der Seherin<lb/>
von <hi rendition="#g">Prevor&#x017F;t</hi> erzählten? Wie dort &#x017F;o oft, &#x017F;ind es zwey<lb/>
Gei&#x017F;ter, ein guter und ein bö&#x017F;er, ein Verführer und eine<lb/>
Verführte, welche er&#x017F;cheinen, wie dort und beynahe in allen<lb/>
die&#x017F;en Ge&#x017F;chichten die&#x017F;elbe Sehn&#x017F;ucht nach Erlö&#x017F;ung bey dem<lb/>
lichtern, gebe&#x017F;&#x017F;erten Theil, die&#x017F;elbe morali&#x017F;che Muthlo&#x017F;ig-<lb/>
keit und &#x017F;tarre Ver&#x017F;tockung der dunkeln Er&#x017F;cheinungen. Selb&#x017F;t<lb/>
die &#x017F;o gewöhnlichen thieri&#x017F;chen Ge&#x017F;talten, in welchen &#x017F;ich<lb/>
der &#x017F;chwarze Gei&#x017F;t zeigte, &#x017F;ollten &#x017F;ie nicht Bild &#x017F;einer nie-<lb/>
drigen thieri&#x017F;chen Natur &#x017F;eyn? Durchgehends findet &#x017F;ich,<lb/>
daß unmorali&#x017F;che We&#x017F;en in dunkeln Hüllen, be&#x017F;&#x017F;ere in lich-<lb/>
ten Ge&#x017F;talten er&#x017F;cheinen; eben &#x017F;o oft kommt es vor, daß<lb/>
&#x017F;olche Gei&#x017F;ter Bibel&#x017F;prüche und Liederver&#x017F;e anführen und<lb/>
wün&#x017F;chen, daß man für &#x017F;ie beten möchte. So unbegreiflich<lb/>
das Anbrennen des Tuchs in der Hand des Mädchens,<lb/>
bey der Berührung des weißen Gei&#x017F;tes, uns vorkommt, &#x017F;o<lb/>
hat die&#x017F;er Fall in den Gei&#x017F;terer&#x017F;cheinungen zu viele analoge<lb/>
Fälle, um &#x017F;ie weg&#x017F;treiten zu können, und ich kenne die Fa-<lb/>
milie genau, in welcher die Bibel aufbewahrt wird, welche<lb/>
der Großvater aus den Händen eines Gei&#x017F;tes erhielt, und<lb/>
in welcher die eingebrannten Spuren einer feurigen Hand<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[47/0061] diciniſchen Diſſertation über Monomanie und den nervus vagus und sympathicus, geeignet machen. Von meiner Seite übrigens wird es am beſten gethan ſeyn, blos bei der getreuen Geſchichtserzählung ſtehen zu bleiben und nur das noch dieſer Geſchichte beizufügen, was einige andere Männer, die zum Theil auch Augenzeugen von ihr waren, als Räſonnement über ſie öffentlich äußerten oder mir zum Gebrauche mittheilten. „Merkwürdig iſt es,“ ſchreibt Hr. Gerber, „daß man bey all dieſen Geiſtergeſchichten eine Familienähnlichkeit nicht mißkennen kann, welche auf etwas Wahres, das ihnen allen zu Grunde liegt, ſchließen läßt. Und zwar zeigt ſich dieſe Aehnlichkeit in den verſchiedenſten Gegenden, wo auch nicht die geringſte Verabredung oder Nachahmung, oder ſonſt ein Einfluß gedacht werden kann. Wie ähnlich ſind nicht dieſe Geiſtererſcheinungen in Orlach mit denen in der Seherin von Prevorſt erzählten? Wie dort ſo oft, ſind es zwey Geiſter, ein guter und ein böſer, ein Verführer und eine Verführte, welche erſcheinen, wie dort und beynahe in allen dieſen Geſchichten dieſelbe Sehnſucht nach Erlöſung bey dem lichtern, gebeſſerten Theil, dieſelbe moraliſche Muthloſig- keit und ſtarre Verſtockung der dunkeln Erſcheinungen. Selbſt die ſo gewöhnlichen thieriſchen Geſtalten, in welchen ſich der ſchwarze Geiſt zeigte, ſollten ſie nicht Bild ſeiner nie- drigen thieriſchen Natur ſeyn? Durchgehends findet ſich, daß unmoraliſche Weſen in dunkeln Hüllen, beſſere in lich- ten Geſtalten erſcheinen; eben ſo oft kommt es vor, daß ſolche Geiſter Bibelſprüche und Liederverſe anführen und wünſchen, daß man für ſie beten möchte. So unbegreiflich das Anbrennen des Tuchs in der Hand des Mädchens, bey der Berührung des weißen Geiſtes, uns vorkommt, ſo hat dieſer Fall in den Geiſtererſcheinungen zu viele analoge Fälle, um ſie wegſtreiten zu können, und ich kenne die Fa- milie genau, in welcher die Bibel aufbewahrt wird, welche der Großvater aus den Händen eines Geiſtes erhielt, und in welcher die eingebrannten Spuren einer feurigen Hand

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/61
Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/61>, abgerufen am 23.11.2024.