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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834.

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guten Sinne als Schutzgeist gebraucht) Statt findet, so findet
bey den Besessenen ein Zustand der Begeisterung (Besitzung)
von einem bösen Geiste, ein kakodämonisch-magnetischer Zu-
stand Statt, aber so wenig Magnetische mit Wahnsinnigen zu
verwechseln sind, so wenig sind es die Besessenen. Was nun
hauptsächlich auch die Besessenen im neuen Testamente anbe-
langt, die der Verstand der Gelehrten auch schon längst für
Wahnsinnige, wie den Glauben an die Wunder für Wahnsinn,
erklärte, so kann ich hier keinen bessern Gewährsmann als
v. Meyer reden lassen. Dieser spricht hierüber in seinen
"Bibeldeutungen" also: "So gewiß im Ausdruck Besessen-
seyn
zugleich der Begriff des Wahnsinns liegt, so wenig
können die Besessenen der Schrift bloße Wahnsinnige seyn,
so lange wir der Bibel als Gottes Wort glauben. Man
sehe Marc. Cap. III. V. 11. "Und wenn ihn die unsaubern
Geister sahen, fielen sie nieder, schrieen und sprachen: "Du bist
Gottes Sohn." Was wußte ein bloßer Verrückter von Gottes
Sohn? während sonst Niemand davon wußte? Oder wie
kann die Schrift das Urtheil von Wahnwitzigen zur Verherr-
lichung Jesu aufzeichnen? Ja, es heißt im 12ten Vers:
"Jesus bedräuete sie hart, daß sie ihn nicht offenbar machten."
Wo bleibt hier die Ehrfurcht vor dem Verstande Jesu, wenn
es bloße Unsinnige waren? --

Marc. I, 34 heißt es: "Er trieb viele Teufel aus, und
ließ die Teufel nicht reden, denn sie kenneten ihn." Doch
nicht wohl, wie ein Wahnsinniger einen kennen kann? Was
sollte das heißen? -- Oder was sollte es heißen, vom
Wahnsinn genommen, wenn Matth. VIII, 29 erzählt wird,
die beyden grimmigen Besessenen im Gergesener Gebiet, welche
aus den Todtengräbern kamen, und deren Dämonen (nicht
sie selbst) nachher in die Schweine fuhren, hätten geschrieen:
"Jesu, du Sohn Gottes (also das heißt, sie kannten ihn,
vgl. Marc. I, 24), Jesu, du Sohn Gottes, was haben
wir mit dir zu thun? Bist du herkommen, uns zu quälen,
ehe denn es Zeit ist?" Freylich möchte diese letzte Rede
eine irre Rede scheinen, weil der Neologen keiner sie erklären

guten Sinne als Schutzgeiſt gebraucht) Statt findet, ſo findet
bey den Beſeſſenen ein Zuſtand der Begeiſterung (Beſitzung)
von einem boͤſen Geiſte, ein kakodämoniſch-magnetiſcher Zu-
ſtand Statt, aber ſo wenig Magnetiſche mit Wahnſinnigen zu
verwechſeln ſind, ſo wenig ſind es die Beſeſſenen. Was nun
hauptſächlich auch die Beſeſſenen im neuen Teſtamente anbe-
langt, die der Verſtand der Gelehrten auch ſchon längſt für
Wahnſinnige, wie den Glauben an die Wunder für Wahnſinn,
erklärte, ſo kann ich hier keinen beſſern Gewährsmann als
v. Meyer reden laſſen. Dieſer ſpricht hierüber in ſeinen
„Bibeldeutungen“ alſo: „So gewiß im Ausdruck Beſeſſen-
ſeyn
zugleich der Begriff des Wahnſinns liegt, ſo wenig
können die Beſeſſenen der Schrift bloße Wahnſinnige ſeyn,
ſo lange wir der Bibel als Gottes Wort glauben. Man
ſehe Marc. Cap. III. V. 11. „Und wenn ihn die unſaubern
Geiſter ſahen, fielen ſie nieder, ſchrieen und ſprachen: „Du biſt
Gottes Sohn.“ Was wußte ein bloßer Verrückter von Gottes
Sohn? während ſonſt Niemand davon wußte? Oder wie
kann die Schrift das Urtheil von Wahnwitzigen zur Verherr-
lichung Jeſu aufzeichnen? Ja, es heißt im 12ten Vers:
„Jeſus bedräuete ſie hart, daß ſie ihn nicht offenbar machten.“
Wo bleibt hier die Ehrfurcht vor dem Verſtande Jeſu, wenn
es bloße Unſinnige waren? —

Marc. I, 34 heißt es: „Er trieb viele Teufel aus, und
ließ die Teufel nicht reden, denn ſie kenneten ihn.“ Doch
nicht wohl, wie ein Wahnſinniger einen kennen kann? Was
ſollte das heißen? — Oder was ſollte es heißen, vom
Wahnſinn genommen, wenn Matth. VIII, 29 erzählt wird,
die beyden grimmigen Beſeſſenen im Gergeſener Gebiet, welche
aus den Todtengräbern kamen, und deren Dämonen (nicht
ſie ſelbſt) nachher in die Schweine fuhren, hätten geſchrieen:
„Jeſu, du Sohn Gottes (alſo das heißt, ſie kannten ihn,
vgl. Marc. I, 24), Jeſu, du Sohn Gottes, was haben
wir mit dir zu thun? Biſt du herkommen, uns zu quälen,
ehe denn es Zeit iſt?“ Freylich möchte dieſe letzte Rede
eine irre Rede ſcheinen, weil der Neologen keiner ſie erklären

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[10/0024] guten Sinne als Schutzgeiſt gebraucht) Statt findet, ſo findet bey den Beſeſſenen ein Zuſtand der Begeiſterung (Beſitzung) von einem boͤſen Geiſte, ein kakodämoniſch-magnetiſcher Zu- ſtand Statt, aber ſo wenig Magnetiſche mit Wahnſinnigen zu verwechſeln ſind, ſo wenig ſind es die Beſeſſenen. Was nun hauptſächlich auch die Beſeſſenen im neuen Teſtamente anbe- langt, die der Verſtand der Gelehrten auch ſchon längſt für Wahnſinnige, wie den Glauben an die Wunder für Wahnſinn, erklärte, ſo kann ich hier keinen beſſern Gewährsmann als v. Meyer reden laſſen. Dieſer ſpricht hierüber in ſeinen „Bibeldeutungen“ alſo: „So gewiß im Ausdruck Beſeſſen- ſeyn zugleich der Begriff des Wahnſinns liegt, ſo wenig können die Beſeſſenen der Schrift bloße Wahnſinnige ſeyn, ſo lange wir der Bibel als Gottes Wort glauben. Man ſehe Marc. Cap. III. V. 11. „Und wenn ihn die unſaubern Geiſter ſahen, fielen ſie nieder, ſchrieen und ſprachen: „Du biſt Gottes Sohn.“ Was wußte ein bloßer Verrückter von Gottes Sohn? während ſonſt Niemand davon wußte? Oder wie kann die Schrift das Urtheil von Wahnwitzigen zur Verherr- lichung Jeſu aufzeichnen? Ja, es heißt im 12ten Vers: „Jeſus bedräuete ſie hart, daß ſie ihn nicht offenbar machten.“ Wo bleibt hier die Ehrfurcht vor dem Verſtande Jeſu, wenn es bloße Unſinnige waren? — Marc. I, 34 heißt es: „Er trieb viele Teufel aus, und ließ die Teufel nicht reden, denn ſie kenneten ihn.“ Doch nicht wohl, wie ein Wahnſinniger einen kennen kann? Was ſollte das heißen? — Oder was ſollte es heißen, vom Wahnſinn genommen, wenn Matth. VIII, 29 erzählt wird, die beyden grimmigen Beſeſſenen im Gergeſener Gebiet, welche aus den Todtengräbern kamen, und deren Dämonen (nicht ſie ſelbſt) nachher in die Schweine fuhren, hätten geſchrieen: „Jeſu, du Sohn Gottes (alſo das heißt, ſie kannten ihn, vgl. Marc. I, 24), Jeſu, du Sohn Gottes, was haben wir mit dir zu thun? Biſt du herkommen, uns zu quälen, ehe denn es Zeit iſt?“ Freylich möchte dieſe letzte Rede eine irre Rede ſcheinen, weil der Neologen keiner ſie erklären

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Zitationshilfe: Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/24>, abgerufen am 29.03.2024.