"Theil an dem Erlöser und Heiland mehr. Darum müß- "ten alle Nachrichten ven der Gaßner'schen Kurart, wo- "her sie auch kommen, gänzlich als alberne, phantastische "Einfälle und Aberglauben verworfen werden, und alle die "Handlungen, die darauf hinzielen, dürfen in christlichen "Staaten nicht geduldet werden. Gaßners Glaube sey "kein christlicher Glaube, daher könne es keine geistliche "und noch weniger leibliche Wirkungen desselben geben. "Man könne Einen dazu bereden, daß er sage, es sey ihm "geholfen. Gaßner müsse ein Phantast oder Betrüger seyn, "ein Tertium gebe es nicht. Wenn der Patient sage, er "werde besser, so könne man noch nicht schließen, ergo "Gaßner helfe, ergo helfe er durch Exorcismus, ergo sey "die Krankheit eine Wirkung des Teufels. Lavater, wel- "cher nur die Thatsachen, nicht Meinung und Dogma un- "ters[u]cht haben wolle, verfalle beynahe in die Strafe der "Gotteslästerung."
Hier haben wir das leibhafte Bild eines Rationalisten, der sein selbst gemachtes oder wenigstens accommodirtes Dogma über die Thatsachen erhebt und ohne Prüfung die Sache, der Meinung zu lieb, verdammt. So ungefähr mögen die Sadduzäer die Zeichen und Wunder Christi weg- raisonnirt haben.
Gegen die obigen Einwürfe trat Dr.Schleiß, der Leib- arzt der Pfalzgräfin von Sulzbach, als vielfältiger Augen- zeuge der Gaßner'schen Kuren auf. Ich setze hier blos bey, was Schleiß an Semler am Schlusse seiner Ab- handlung spricht: "Ich ersuche Sie noch einmal, ohne Be- "fangenheit und Uebereilung, ohne Rücksicht auf Person, "Stand und Lehre Gaßner's, meine Zweifelsfragen zu "beantworten. Zeigen Sie Ihr erhabenes Herz auf der "edeln Seite, überlegen Sie wohl, ob es nicht der Mühe "werth sey, die Gaßner'schen Thatsachen durch eine ordent- "liche, aus allen drey christlichen Religionen und aus allen "Facultäten zusammengesetzte Commission zu untersuchen. "Der glaubige Gaßner ist zu Allem wegen der Ehre Got-
„Theil an dem Erlöſer und Heiland mehr. Darum müß- „ten alle Nachrichten ven der Gaßner’ſchen Kurart, wo- „her ſie auch kommen, gänzlich als alberne, phantaſtiſche „Einfälle und Aberglauben verworfen werden, und alle die „Handlungen, die darauf hinzielen, dürfen in chriſtlichen „Staaten nicht geduldet werden. Gaßners Glaube ſey „kein chriſtlicher Glaube, daher könne es keine geiſtliche „und noch weniger leibliche Wirkungen deſſelben geben. „Man könne Einen dazu bereden, daß er ſage, es ſey ihm „geholfen. Gaßner müſſe ein Phantaſt oder Betrüger ſeyn, „ein Tertium gebe es nicht. Wenn der Patient ſage, er „werde beſſer, ſo könne man noch nicht ſchließen, ergo „Gaßner helfe, ergo helfe er durch Exorcismus, ergo ſey „die Krankheit eine Wirkung des Teufels. Lavater, wel- „cher nur die Thatſachen, nicht Meinung und Dogma un- „terſ[u]cht haben wolle, verfalle beynahe in die Strafe der „Gottesläſterung.“
Hier haben wir das leibhafte Bild eines Rationaliſten, der ſein ſelbſt gemachtes oder wenigſtens accommodirtes Dogma über die Thatſachen erhebt und ohne Prüfung die Sache, der Meinung zu lieb, verdammt. So ungefähr mögen die Sadduzäer die Zeichen und Wunder Chriſti weg- raiſonnirt haben.
Gegen die obigen Einwürfe trat Dr.Schleiß, der Leib- arzt der Pfalzgräfin von Sulzbach, als vielfältiger Augen- zeuge der Gaßner’ſchen Kuren auf. Ich ſetze hier blos bey, was Schleiß an Semler am Schluſſe ſeiner Ab- handlung ſpricht: „Ich erſuche Sie noch einmal, ohne Be- „fangenheit und Uebereilung, ohne Rückſicht auf Perſon, „Stand und Lehre Gaßner’s, meine Zweifelsfragen zu „beantworten. Zeigen Sie Ihr erhabenes Herz auf der „edeln Seite, überlegen Sie wohl, ob es nicht der Mühe „werth ſey, die Gaßner’ſchen Thatſachen durch eine ordent- „liche, aus allen drey chriſtlichen Religionen und aus allen „Facultäten zuſammengeſetzte Commiſſion zu unterſuchen. „Der glaubige Gaßner iſt zu Allem wegen der Ehre Got-
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„Theil an dem Erlöſer und Heiland mehr. Darum müß-
„ten alle Nachrichten ven der Gaßner’ſchen Kurart, wo-
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„Einfälle und Aberglauben verworfen werden, und alle die
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„Staaten nicht geduldet werden. Gaßners Glaube ſey
„kein chriſtlicher Glaube, daher könne es keine geiſtliche
„und noch weniger leibliche Wirkungen deſſelben geben.
„Man könne Einen dazu bereden, daß er ſage, es ſey ihm
„geholfen. Gaßner müſſe ein Phantaſt oder Betrüger ſeyn,
„ein Tertium gebe es nicht. Wenn der Patient ſage, er
„werde beſſer, ſo könne man noch nicht ſchließen, ergo
„Gaßner helfe, ergo helfe er durch Exorcismus, ergo ſey
„die Krankheit eine Wirkung des Teufels. Lavater, wel-
„cher nur die Thatſachen, nicht Meinung und Dogma un-
„terſucht haben wolle, verfalle beynahe in die Strafe der
„Gottesläſterung.“
Hier haben wir das leibhafte Bild eines Rationaliſten,
der ſein ſelbſt gemachtes oder wenigſtens accommodirtes
Dogma über die Thatſachen erhebt und ohne Prüfung die
Sache, der Meinung zu lieb, verdammt. So ungefähr
mögen die Sadduzäer die Zeichen und Wunder Chriſti weg-
raiſonnirt haben.
Gegen die obigen Einwürfe trat Dr. Schleiß, der Leib-
arzt der Pfalzgräfin von Sulzbach, als vielfältiger Augen-
zeuge der Gaßner’ſchen Kuren auf. Ich ſetze hier blos
bey, was Schleiß an Semler am Schluſſe ſeiner Ab-
handlung ſpricht: „Ich erſuche Sie noch einmal, ohne Be-
„fangenheit und Uebereilung, ohne Rückſicht auf Perſon,
„Stand und Lehre Gaßner’s, meine Zweifelsfragen zu
„beantworten. Zeigen Sie Ihr erhabenes Herz auf der
„edeln Seite, überlegen Sie wohl, ob es nicht der Mühe
„werth ſey, die Gaßner’ſchen Thatſachen durch eine ordent-
„liche, aus allen drey chriſtlichen Religionen und aus allen
„Facultäten zuſammengeſetzte Commiſſion zu unterſuchen.
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/167>, abgerufen am 06.07.2024.
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