der Anwesenden machen konnte, von ihm abgelegt, wobey es nicht zu verkennen war, daß gegen das Ende hin der Sinn für das, was Sünde sey, ihm mehr und mehr auf- zugehen schien und er sich dessen, was zur Sünde gerech- net wird, immer mehr zu versichern suchte. Die Unter- brechungen kündete die dämonische Stimme immer mit den Worten an: "Ich kann nicht mehr, ich muß jetzt wieder gehen." Auf dieses erwachte die Kranke mit heftigen Kopf- schmerzen und verlangte, daß man ihr die Stirn einreiben solle. Der Magnetismus, der einen kurzen Schlaf herbey- führte, beruhigte den Schmerz einigermaßen. Sobald sie wie- der bey sich war, betete sie stillgefaßt, und verlangte auch von den Anwesenden, daß sie ihr vorbeten möchten. Kam sie dann in den dämonischen Zustand, so konnte, was früher nicht der Fall war, fortgebetet werden, ohne daß der Dämon reagirte. Das, was der Schutzgeist verkündet hatte, trat auch unfehlbar gegen zwölf Uhr Mittags ein. Der böse Geist wich, sobald er Alles aufrichtig bekannt hatte, und nachdem die Frau dreymal hintereinander hingestorben (schein- todt geworden) war, mit dreymaligem heftigem Aufstoßen und unter lautem Blasen von ihr. Die Kranke fühlte sich, nachdem der Dämon seine Bekenntnisse abgelegt hatte und unter jenen Erscheinungen von ihr gewichen war, todtmüde und konnte kaum die Treppe hinauf zu ihrem Bette wanken, in welchem sie, innerlich und äußerlich gestärkt, erwachte und Gott für ihre Befreiung dankte. Ein auswärtiger Arzt, der die Kranke schon früher beobachtet hatte, und eben erst eintrat, fand ihren Puls auf merkwürdige Weise verändert, nämlich weich und ruhig, während er in den vorigen Tagen hart und heftig war. In magnetischen Schlaf gebracht, bestätigte der Schutz- geist die wirklich vollzogene Befreiung. Aber damit nicht zu- frieden, wiederholte man, gegen meinen Wunsch, mehrere Gegenproben durch Eingabe von Arzneien und Anwendung von exorcistischen Formen; allein es war von nun an auch nicht die mindeste Reaction mehr zu spüren. Man zweifelte nun nicht länger mehr an der vollständig gelungenen Cur
der Anweſenden machen konnte, von ihm abgelegt, wobey es nicht zu verkennen war, daß gegen das Ende hin der Sinn für das, was Sünde ſey, ihm mehr und mehr auf- zugehen ſchien und er ſich deſſen, was zur Sünde gerech- net wird, immer mehr zu verſichern ſuchte. Die Unter- brechungen kündete die dämoniſche Stimme immer mit den Worten an: „Ich kann nicht mehr, ich muß jetzt wieder gehen.“ Auf dieſes erwachte die Kranke mit heftigen Kopf- ſchmerzen und verlangte, daß man ihr die Stirn einreiben ſolle. Der Magnetismus, der einen kurzen Schlaf herbey- führte, beruhigte den Schmerz einigermaßen. Sobald ſie wie- der bey ſich war, betete ſie ſtillgefaßt, und verlangte auch von den Anweſenden, daß ſie ihr vorbeten möchten. Kam ſie dann in den dämoniſchen Zuſtand, ſo konnte, was früher nicht der Fall war, fortgebetet werden, ohne daß der Dämon reagirte. Das, was der Schutzgeiſt verkündet hatte, trat auch unfehlbar gegen zwölf Uhr Mittags ein. Der böſe Geiſt wich, ſobald er Alles aufrichtig bekannt hatte, und nachdem die Frau dreymal hintereinander hingeſtorben (ſchein- todt geworden) war, mit dreymaligem heftigem Aufſtoßen und unter lautem Blaſen von ihr. Die Kranke fühlte ſich, nachdem der Dämon ſeine Bekenntniſſe abgelegt hatte und unter jenen Erſcheinungen von ihr gewichen war, todtmüde und konnte kaum die Treppe hinauf zu ihrem Bette wanken, in welchem ſie, innerlich und äußerlich geſtärkt, erwachte und Gott für ihre Befreiung dankte. Ein auswärtiger Arzt, der die Kranke ſchon früher beobachtet hatte, und eben erſt eintrat, fand ihren Puls auf merkwürdige Weiſe verändert, nämlich weich und ruhig, während er in den vorigen Tagen hart und heftig war. In magnetiſchen Schlaf gebracht, beſtätigte der Schutz- geiſt die wirklich vollzogene Befreiung. Aber damit nicht zu- frieden, wiederholte man, gegen meinen Wunſch, mehrere Gegenproben durch Eingabe von Arzneien und Anwendung von exorciſtiſchen Formen; allein es war von nun an auch nicht die mindeſte Reaction mehr zu ſpüren. Man zweifelte nun nicht länger mehr an der vollſtändig gelungenen Cur
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der Anweſenden machen konnte, von ihm abgelegt, wobey
es nicht zu verkennen war, daß gegen das Ende hin der
Sinn für das, was Sünde ſey, ihm mehr und mehr auf-
zugehen ſchien und er ſich deſſen, was zur Sünde gerech-
net wird, immer mehr zu verſichern ſuchte. Die Unter-
brechungen kündete die dämoniſche Stimme immer mit den
Worten an: „Ich kann nicht mehr, ich muß jetzt wieder
gehen.“ Auf dieſes erwachte die Kranke mit heftigen Kopf-
ſchmerzen und verlangte, daß man ihr die Stirn einreiben
ſolle. Der Magnetismus, der einen kurzen Schlaf herbey-
führte, beruhigte den Schmerz einigermaßen. Sobald ſie wie-
der bey ſich war, betete ſie ſtillgefaßt, und verlangte auch
von den Anweſenden, daß ſie ihr vorbeten möchten. Kam ſie
dann in den dämoniſchen Zuſtand, ſo konnte, was früher
nicht der Fall war, fortgebetet werden, ohne daß der Dämon
reagirte. Das, was der Schutzgeiſt verkündet hatte, trat
auch unfehlbar gegen zwölf Uhr Mittags ein. Der böſe
Geiſt wich, ſobald er Alles aufrichtig bekannt hatte, und
nachdem die Frau dreymal hintereinander hingeſtorben (ſchein-
todt geworden) war, mit dreymaligem heftigem Aufſtoßen und
unter lautem Blaſen von ihr. Die Kranke fühlte ſich, nachdem
der Dämon ſeine Bekenntniſſe abgelegt hatte und unter jenen
Erſcheinungen von ihr gewichen war, todtmüde und konnte
kaum die Treppe hinauf zu ihrem Bette wanken, in welchem
ſie, innerlich und äußerlich geſtärkt, erwachte und Gott für
ihre Befreiung dankte. Ein auswärtiger Arzt, der die Kranke
ſchon früher beobachtet hatte, und eben erſt eintrat, fand
ihren Puls auf merkwürdige Weiſe verändert, nämlich weich
und ruhig, während er in den vorigen Tagen hart und heftig
war. In magnetiſchen Schlaf gebracht, beſtätigte der Schutz-
geiſt die wirklich vollzogene Befreiung. Aber damit nicht zu-
frieden, wiederholte man, gegen meinen Wunſch, mehrere
Gegenproben durch Eingabe von Arzneien und Anwendung
von exorciſtiſchen Formen; allein es war von nun an auch
nicht die mindeſte Reaction mehr zu ſpüren. Man zweifelte
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Kerner, Justinus: Geschichten Besessener neuerer Zeit. Karlsruhe, 1834, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kerner_besessene_1834/103>, abgerufen am 16.07.2024.
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