Kempelen, Wolfgang von: Mechanismus der menschlichen Sprache. Wien, 1791.Von den Lauten oder Buchstaben. nen Behältniße tönet, bey B ein weiteres solchesBehältniß, und bey D ein engeres anzufüllen. Zweytens, wenn die Stimme endlich in einen Selbstlauter ausbricht, so hat sie bey jedem dieser zwey Buchstaben einen ganz anders gestalteten Durch- oder Ausgang. Beydes ist dem Ohre(*) auffal- lend genug, um von demselben sogleich und genau unterschieden zu werden. Um (*) Die ausserordentliche Feinheit und Empfindlich-
keit des menschlichen Gehörs offenbaret sich am mei- sten bey Blindgebohrnen. Zu einem gewiß merkwürdi- gen Beyspiele kann ich hier das wegen ihrer großen Ge- schicklichkeit in der Musik berühmte Fräulein v. Para- dis in Wien anführen. Sie hat in dem zweiten Jahre ihres Alters das Gesicht ganz verlohren, und dagegen ihr Gehör so verfeinert, daß sie in ihrem sechzehnten Jahre, wenn sie bey einer langen Wand vorbey ge- führt wurde, aus dem bloßen Hall ihrer Tritte genau abnahm, wenn dieses Gebäude zu Ende war. Wenn sie in eine Stube nur einige Schritte weit hineintritt, so bemerket sie gleich, ob sie groß oder klein ist, ja sie giebt sogar beyläufig ihre Größe an. Jn einer Entfer- nung von mehr denn zehn Schritten unterscheidet sie, ob die Person, die zu ihr spricht, sitzt oder steht. Jch war oft Augenzeuge davon. Von den Lauten oder Buchſtaben. nen Behaͤltniße toͤnet, bey B ein weiteres ſolchesBehaͤltniß, und bey D ein engeres anzufuͤllen. Zweytens, wenn die Stimme endlich in einen Selbſtlauter ausbricht, ſo hat ſie bey jedem dieſer zwey Buchſtaben einen ganz anders geſtalteten Durch- oder Ausgang. Beydes iſt dem Ohre(*) auffal- lend genug, um von demſelben ſogleich und genau unterſchieden zu werden. Um (*) Die auſſerordentliche Feinheit und Empfindlich-
keit des menſchlichen Gehoͤrs offenbaret ſich am mei- ſten bey Blindgebohrnen. Zu einem gewiß merkwuͤrdi- gen Beyſpiele kann ich hier das wegen ihrer großen Ge- ſchicklichkeit in der Muſik beruͤhmte Fraͤulein v. Para- dis in Wien anfuͤhren. Sie hat in dem zweiten Jahre ihres Alters das Geſicht ganz verlohren, und dagegen ihr Gehoͤr ſo verfeinert, daß ſie in ihrem ſechzehnten Jahre, wenn ſie bey einer langen Wand vorbey ge- fuͤhrt wurde, aus dem bloßen Hall ihrer Tritte genau abnahm, wenn dieſes Gebaͤude zu Ende war. Wenn ſie in eine Stube nur einige Schritte weit hineintritt, ſo bemerket ſie gleich, ob ſie groß oder klein iſt, ja ſie giebt ſogar beylaͤufig ihre Groͤße an. Jn einer Entfer- nung von mehr denn zehn Schritten unterſcheidet ſie, ob die Perſon, die zu ihr ſpricht, ſitzt oder ſteht. Jch war oft Augenzeuge davon. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0303" n="251"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Von den Lauten oder Buchſtaben</hi>.</fw><lb/> nen Behaͤltniße toͤnet, bey <hi rendition="#aq">B</hi> ein <hi rendition="#b">weiteres</hi> ſolches<lb/> Behaͤltniß, und bey <hi rendition="#aq">D</hi> ein <hi rendition="#b">engeres</hi> anzufuͤllen.<lb/><hi rendition="#b">Zweytens</hi>, wenn die Stimme endlich in einen<lb/> Selbſtlauter ausbricht, ſo hat ſie bey jedem dieſer<lb/> zwey Buchſtaben einen ganz anders geſtalteten Durch-<lb/> oder Ausgang. Beydes iſt dem Ohre<note place="foot" n="(*)">Die auſſerordentliche Feinheit und Empfindlich-<lb/> keit des menſchlichen Gehoͤrs offenbaret ſich am mei-<lb/> ſten bey Blindgebohrnen. Zu einem gewiß merkwuͤrdi-<lb/> gen Beyſpiele kann ich hier das wegen ihrer großen Ge-<lb/> ſchicklichkeit in der Muſik beruͤhmte Fraͤulein v. Para-<lb/> dis in Wien anfuͤhren. Sie hat in dem zweiten Jahre<lb/> ihres Alters das Geſicht ganz verlohren, und dagegen<lb/> ihr Gehoͤr ſo verfeinert, daß ſie in ihrem ſechzehnten<lb/> Jahre, wenn ſie bey einer langen Wand vorbey ge-<lb/> fuͤhrt wurde, aus dem bloßen Hall ihrer Tritte genau<lb/> abnahm, wenn dieſes Gebaͤude zu Ende war. Wenn<lb/> ſie in eine Stube nur einige Schritte weit hineintritt,<lb/> ſo bemerket ſie gleich, ob ſie groß oder klein iſt, ja ſie<lb/> giebt ſogar beylaͤufig ihre Groͤße an. Jn einer Entfer-<lb/> nung von mehr denn zehn Schritten unterſcheidet ſie,<lb/> ob die Perſon, die zu ihr ſpricht, ſitzt oder ſteht. Jch<lb/> war oft Augenzeuge davon.</note> auffal-<lb/> lend genug, um von demſelben ſogleich und genau<lb/> unterſchieden zu werden.</p> </div><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Um</fw><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [251/0303]
Von den Lauten oder Buchſtaben.
nen Behaͤltniße toͤnet, bey B ein weiteres ſolches
Behaͤltniß, und bey D ein engeres anzufuͤllen.
Zweytens, wenn die Stimme endlich in einen
Selbſtlauter ausbricht, ſo hat ſie bey jedem dieſer
zwey Buchſtaben einen ganz anders geſtalteten Durch-
oder Ausgang. Beydes iſt dem Ohre (*) auffal-
lend genug, um von demſelben ſogleich und genau
unterſchieden zu werden.
Um
(*) Die auſſerordentliche Feinheit und Empfindlich-
keit des menſchlichen Gehoͤrs offenbaret ſich am mei-
ſten bey Blindgebohrnen. Zu einem gewiß merkwuͤrdi-
gen Beyſpiele kann ich hier das wegen ihrer großen Ge-
ſchicklichkeit in der Muſik beruͤhmte Fraͤulein v. Para-
dis in Wien anfuͤhren. Sie hat in dem zweiten Jahre
ihres Alters das Geſicht ganz verlohren, und dagegen
ihr Gehoͤr ſo verfeinert, daß ſie in ihrem ſechzehnten
Jahre, wenn ſie bey einer langen Wand vorbey ge-
fuͤhrt wurde, aus dem bloßen Hall ihrer Tritte genau
abnahm, wenn dieſes Gebaͤude zu Ende war. Wenn
ſie in eine Stube nur einige Schritte weit hineintritt,
ſo bemerket ſie gleich, ob ſie groß oder klein iſt, ja ſie
giebt ſogar beylaͤufig ihre Groͤße an. Jn einer Entfer-
nung von mehr denn zehn Schritten unterſcheidet ſie,
ob die Perſon, die zu ihr ſpricht, ſitzt oder ſteht. Jch
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