und augenblicklich lief sie aus dem Hause, spuckte wie ein Bauer auf die Schwelle desselben und lief, wie sie war, ohne Hut und Handschuhe, aus der Stadt. Vor dem Thor erst brach sie in Thränen aus, und in einemfort weinend und schluchzend wanderte und eilte sie, mit dem seidenen Prachtkleide die Augen trocknend (denn sogar ein Taschentuch hatte sie nicht an sich genommen) durch Feld und Forst, bis sie tief in der Nacht im elterlichen Hause anlangte, mehr einer entsprungenen Zigeunerin ähnlich, als einer Braut. Sie gab den bestürzten Verwandten keine Antwort, sondern verschloß sich in ihre Kammer. Darin blieb sie mehrere Tage und erschien, als sie wieder hervortrat, in der alten Landtracht. Wo sie jenes rothe Seidenkleid hingebracht, hat man nie erfahren. Einige sagen, sie habe es verbrannt, Andere, es sei vergraben worden, wieder Andere, sie habe es einem Juden ver¬ kauft.
Als sie eine Zeitlang zu Haus geblieben, schickte ihr die Stadtfamilie, bei der sie gewohnt, ihre Sachen zu ohne jegliche Nachricht oder Anfrage, und noch fernere Zeit verging, ohne daß der Bräutigam oder sonst Jemand nach ihr fragte. Die Ihrigen wollten einen Rechtshandel mit dem Junker Drogo anheben; doch sie verwehrte es zornig, und so ist die Brautschaft der schönen Salome in Nichts verlaufen und die Jungfrau noch vorhanden, wie Sie dieselbe gesehen haben, theilweise etwas klüger und besser geworden, als früher, theilweise noch thörichter.
und augenblicklich lief ſie aus dem Hauſe, ſpuckte wie ein Bauer auf die Schwelle deſſelben und lief, wie ſie war, ohne Hut und Handſchuhe, aus der Stadt. Vor dem Thor erſt brach ſie in Thränen aus, und in einemfort weinend und ſchluchzend wanderte und eilte ſie, mit dem ſeidenen Prachtkleide die Augen trocknend (denn ſogar ein Taſchentuch hatte ſie nicht an ſich genommen) durch Feld und Forſt, bis ſie tief in der Nacht im elterlichen Hauſe anlangte, mehr einer entſprungenen Zigeunerin ähnlich, als einer Braut. Sie gab den beſtürzten Verwandten keine Antwort, ſondern verſchloß ſich in ihre Kammer. Darin blieb ſie mehrere Tage und erſchien, als ſie wieder hervortrat, in der alten Landtracht. Wo ſie jenes rothe Seidenkleid hingebracht, hat man nie erfahren. Einige ſagen, ſie habe es verbrannt, Andere, es ſei vergraben worden, wieder Andere, ſie habe es einem Juden ver¬ kauft.
Als ſie eine Zeitlang zu Haus geblieben, ſchickte ihr die Stadtfamilie, bei der ſie gewohnt, ihre Sachen zu ohne jegliche Nachricht oder Anfrage, und noch fernere Zeit verging, ohne daß der Bräutigam oder ſonſt Jemand nach ihr fragte. Die Ihrigen wollten einen Rechtshandel mit dem Junker Drogo anheben; doch ſie verwehrte es zornig, und ſo iſt die Brautſchaft der ſchönen Salome in Nichts verlaufen und die Jungfrau noch vorhanden, wie Sie dieſelbe geſehen haben, theilweiſe etwas klüger und beſſer geworden, als früher, theilweiſe noch thörichter.
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und augenblicklich lief ſie aus dem Hauſe, ſpuckte wie ein
Bauer auf die Schwelle deſſelben und lief, wie ſie war,
ohne Hut und Handſchuhe, aus der Stadt. Vor dem
Thor erſt brach ſie in Thränen aus, und in einemfort
weinend und ſchluchzend wanderte und eilte ſie, mit dem
ſeidenen Prachtkleide die Augen trocknend (denn ſogar ein
Taſchentuch hatte ſie nicht an ſich genommen) durch Feld
und Forſt, bis ſie tief in der Nacht im elterlichen Hauſe
anlangte, mehr einer entſprungenen Zigeunerin ähnlich,
als einer Braut. Sie gab den beſtürzten Verwandten
keine Antwort, ſondern verſchloß ſich in ihre Kammer.
Darin blieb ſie mehrere Tage und erſchien, als ſie wieder
hervortrat, in der alten Landtracht. Wo ſie jenes rothe
Seidenkleid hingebracht, hat man nie erfahren. Einige
ſagen, ſie habe es verbrannt, Andere, es ſei vergraben
worden, wieder Andere, ſie habe es einem Juden ver¬
kauft.
Als ſie eine Zeitlang zu Haus geblieben, ſchickte ihr
die Stadtfamilie, bei der ſie gewohnt, ihre Sachen zu
ohne jegliche Nachricht oder Anfrage, und noch fernere
Zeit verging, ohne daß der Bräutigam oder ſonſt Jemand
nach ihr fragte. Die Ihrigen wollten einen Rechtshandel
mit dem Junker Drogo anheben; doch ſie verwehrte es
zornig, und ſo iſt die Brautſchaft der ſchönen Salome in
Nichts verlaufen und die Jungfrau noch vorhanden, wie
Sie dieſelbe geſehen haben, theilweiſe etwas klüger und
beſſer geworden, als früher, theilweiſe noch thörichter.
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/70>, abgerufen am 26.11.2024.
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