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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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wurde. Denn wie Viele sterben jung, wie Manche bleiben
bei allem Fleiß und aller Begabung ihr Leben lang un¬
gesucht und ungenannt. Um so achtenswerther erschien
die Bildung des Fräuleins, da sie ohne maßgebende
Namen diese unbekannten Werke zu schätzen wußte und
so eifrig um sich sammelte. Die weiß, wie es scheint,
sich an die Sache zu halten, dachte er, als er bemerkte,
daß alle die älteren oder neueren Schildereien entweder
durch den Gegenstand oder durch das Machwerk einem
edleren Geiste zu gefallen geeignet waren. Einige große
Stiche nach Niclaus Poussin und Claude Lorrain hingen
in schlichten hölzernen Rahmen über einem Schreibtisch;
auf diesem lag eine Schicht trefflicher Radierungen von
guten Niederländern friedlich neben einem Zusammenstoße
von Büchern, welche flüchtig zu besehen Reinhart keinen
Anstand nahm. Nicht eines that ein Haschen nach un¬
nöthigen, nur Staat machenden Kenntnissen kund; aber
auch nicht ein gewöhnliches sogenanntes Frauenbuch war
darunter, dagegen manche gute Schrift aus verschiedener
Zeit, die nicht gerade an der großen Leserstraße lag,
neben edeln Meisterwerken auch ehrliche Dummheiten und
Sachlichkeiten, an denen dies Frauenwesen irgend welchen
Antheil nahm als Zeichen einer freien und großmüthigen
Seele.

Was ihm jedoch am meisten auffiel, war eine besondere
kleine Büchersammlung, die auf einem Regale über dem
Tische nah zur Hand und von der Besitzerin selbst

wurde. Denn wie Viele ſterben jung, wie Manche bleiben
bei allem Fleiß und aller Begabung ihr Leben lang un¬
geſucht und ungenannt. Um ſo achtenswerther erſchien
die Bildung des Fräuleins, da ſie ohne maßgebende
Namen dieſe unbekannten Werke zu ſchätzen wußte und
ſo eifrig um ſich ſammelte. Die weiß, wie es ſcheint,
ſich an die Sache zu halten, dachte er, als er bemerkte,
daß alle die älteren oder neueren Schildereien entweder
durch den Gegenſtand oder durch das Machwerk einem
edleren Geiſte zu gefallen geeignet waren. Einige große
Stiche nach Niclaus Pouſſin und Claude Lorrain hingen
in ſchlichten hölzernen Rahmen über einem Schreibtiſch;
auf dieſem lag eine Schicht trefflicher Radierungen von
guten Niederländern friedlich neben einem Zuſammenſtoße
von Büchern, welche flüchtig zu beſehen Reinhart keinen
Anſtand nahm. Nicht eines that ein Haſchen nach un¬
nöthigen, nur Staat machenden Kenntniſſen kund; aber
auch nicht ein gewöhnliches ſogenanntes Frauenbuch war
darunter, dagegen manche gute Schrift aus verſchiedener
Zeit, die nicht gerade an der großen Leſerſtraße lag,
neben edeln Meiſterwerken auch ehrliche Dummheiten und
Sachlichkeiten, an denen dies Frauenweſen irgend welchen
Antheil nahm als Zeichen einer freien und großmüthigen
Seele.

Was ihm jedoch am meiſten auffiel, war eine beſondere
kleine Bücherſammlung, die auf einem Regale über dem
Tiſche nah zur Hand und von der Beſitzerin ſelbſt

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[39/0049] wurde. Denn wie Viele ſterben jung, wie Manche bleiben bei allem Fleiß und aller Begabung ihr Leben lang un¬ geſucht und ungenannt. Um ſo achtenswerther erſchien die Bildung des Fräuleins, da ſie ohne maßgebende Namen dieſe unbekannten Werke zu ſchätzen wußte und ſo eifrig um ſich ſammelte. Die weiß, wie es ſcheint, ſich an die Sache zu halten, dachte er, als er bemerkte, daß alle die älteren oder neueren Schildereien entweder durch den Gegenſtand oder durch das Machwerk einem edleren Geiſte zu gefallen geeignet waren. Einige große Stiche nach Niclaus Pouſſin und Claude Lorrain hingen in ſchlichten hölzernen Rahmen über einem Schreibtiſch; auf dieſem lag eine Schicht trefflicher Radierungen von guten Niederländern friedlich neben einem Zuſammenſtoße von Büchern, welche flüchtig zu beſehen Reinhart keinen Anſtand nahm. Nicht eines that ein Haſchen nach un¬ nöthigen, nur Staat machenden Kenntniſſen kund; aber auch nicht ein gewöhnliches ſogenanntes Frauenbuch war darunter, dagegen manche gute Schrift aus verſchiedener Zeit, die nicht gerade an der großen Leſerſtraße lag, neben edeln Meiſterwerken auch ehrliche Dummheiten und Sachlichkeiten, an denen dies Frauenweſen irgend welchen Antheil nahm als Zeichen einer freien und großmüthigen Seele. Was ihm jedoch am meiſten auffiel, war eine beſondere kleine Bücherſammlung, die auf einem Regale über dem Tiſche nah zur Hand und von der Beſitzerin ſelbſt

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/49>, abgerufen am 24.11.2024.