Schranke mehr meinem Glücke im Wege stehe, löste die Starrheit der Seele, daß mein Blut wieder etwas Leben gewann. Die Leute nahmen das für religiöse Ergriffen¬ heit; einzig Schwester Klara, die einen tieferen Antheil nahm, wurde weder klar noch ruhig über mein Wesen, und als ich eines Nachmittags bei ihr in der Zelle saß, begann sie mit leisen und vorsichtig gestellten Worten von neuem nach Natur und Art der wahren Grundursache zu forschen, die mein Inneres bewegte. Der mütterlichen Freundin verhehlte ich es nicht länger und sie vernahm im Verlauf eines Viertelstündchens den unglückseligen kleinen Kindsroman.
Sie schaute mich mit großen Augen an, schlug sie dann tief erröthend auf ihre Arbeit nieder, und nach einem Weilchen fiel eine schimmernde Thräne darauf. Ich glaubte, die stille fromme Dame schäme sich für mich, da ich es nicht selbst thue; ganz unglücklich kniete ich vor ihren Füßen und weinte auf ihre Hände. Es war mehr die Erinnerung an eigenes Leid, das sie einst in dies Kloster geführt, die sie jetzt bewegte. Sanft richtete sie mich auf und sagte:
Wir sprechen nicht mehr darüber! Schweig und ver¬ giß, oder mögen dir Gott und seine Heiligen helfen!
Wir haben freilich nach Jahren wieder davon geredet; denn sie lebt noch. In jenen Tagen, da ich noch bei ihr weilte, lehrte sie mich zur Zerstreuung dergleichen Bildchen sticken, wie Sie hier eines sehen, und dieses war von ihrer
Schranke mehr meinem Glücke im Wege ſtehe, löſte die Starrheit der Seele, daß mein Blut wieder etwas Leben gewann. Die Leute nahmen das für religiöſe Ergriffen¬ heit; einzig Schweſter Klara, die einen tieferen Antheil nahm, wurde weder klar noch ruhig über mein Weſen, und als ich eines Nachmittags bei ihr in der Zelle ſaß, begann ſie mit leiſen und vorſichtig geſtellten Worten von neuem nach Natur und Art der wahren Grundurſache zu forſchen, die mein Inneres bewegte. Der mütterlichen Freundin verhehlte ich es nicht länger und ſie vernahm im Verlauf eines Viertelſtündchens den unglückſeligen kleinen Kindsroman.
Sie ſchaute mich mit großen Augen an, ſchlug ſie dann tief erröthend auf ihre Arbeit nieder, und nach einem Weilchen fiel eine ſchimmernde Thräne darauf. Ich glaubte, die ſtille fromme Dame ſchäme ſich für mich, da ich es nicht ſelbſt thue; ganz unglücklich kniete ich vor ihren Füßen und weinte auf ihre Hände. Es war mehr die Erinnerung an eigenes Leid, das ſie einſt in dies Kloſter geführt, die ſie jetzt bewegte. Sanft richtete ſie mich auf und ſagte:
Wir ſprechen nicht mehr darüber! Schweig und ver¬ giß, oder mögen dir Gott und ſeine Heiligen helfen!
Wir haben freilich nach Jahren wieder davon geredet; denn ſie lebt noch. In jenen Tagen, da ich noch bei ihr weilte, lehrte ſie mich zur Zerſtreuung dergleichen Bildchen ſticken, wie Sie hier eines ſehen, und dieſes war von ihrer
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Schranke mehr meinem Glücke im Wege ſtehe, löſte die
Starrheit der Seele, daß mein Blut wieder etwas Leben
gewann. Die Leute nahmen das für religiöſe Ergriffen¬
heit; einzig Schweſter Klara, die einen tieferen Antheil
nahm, wurde weder klar noch ruhig über mein Weſen,
und als ich eines Nachmittags bei ihr in der Zelle ſaß,
begann ſie mit leiſen und vorſichtig geſtellten Worten von
neuem nach Natur und Art der wahren Grundurſache
zu forſchen, die mein Inneres bewegte. Der mütterlichen
Freundin verhehlte ich es nicht länger und ſie vernahm
im Verlauf eines Viertelſtündchens den unglückſeligen
kleinen Kindsroman.
Sie ſchaute mich mit großen Augen an, ſchlug ſie
dann tief erröthend auf ihre Arbeit nieder, und nach
einem Weilchen fiel eine ſchimmernde Thräne darauf.
Ich glaubte, die ſtille fromme Dame ſchäme ſich für mich,
da ich es nicht ſelbſt thue; ganz unglücklich kniete ich
vor ihren Füßen und weinte auf ihre Hände. Es war
mehr die Erinnerung an eigenes Leid, das ſie einſt in
dies Kloſter geführt, die ſie jetzt bewegte. Sanft richtete
ſie mich auf und ſagte:
Wir ſprechen nicht mehr darüber! Schweig und ver¬
giß, oder mögen dir Gott und ſeine Heiligen helfen!
Wir haben freilich nach Jahren wieder davon geredet;
denn ſie lebt noch. In jenen Tagen, da ich noch bei ihr
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/408>, abgerufen am 24.11.2024.
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