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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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behalten, auf die Gefahr hin, daß ich von meinem Ent¬
schlusse wieder abfiele, -- oder sollte man jetzt sogleich
meinen Willen thun unter der Bedingung, daß ich den
Schritt bis zum Tage meiner confessionellen Mündigkeit
geheim halte? Und war auf mein Versprechen zu bauen?
Das letztere Verfahren wurde dennoch für gut befunden.
Für den Fall des verfrühten Kundwerdens gedachte man
auf die Aufsichts- und Rathlosigkeit hinzuweisen, in
welcher ich gelassen worden sei, und die den ehemaligen
Glaubensgenossen der Mutter des Kindes den gewährten
Schutz zur einfachen Pflicht gemacht habe.

Solchermaßen wurde denn auch gehandelt. Der Herr
Probst selber ertheilte mir während zwei Monaten den
geistlichen Unterricht; dann empfing ich in der Klosterkirche
die Taufe. Zwei Conventualen aus dem fernen Mutter¬
stifte, dem der Probst angehörte, und zwei Nonnen, von
denen Klara die eine, wohnten als Taufzeugen bei. Nachher
wurden die nöthigen Urkunden aufgesetzt und unterschrieben,
und der Probst verwahrte sie einstweilen in seinem Archive.
Der Name Lucia wurde mir gelassen.

Ich vermag meine Seelenverfassung während des
Unterrichts und der Ceremonie kaum zu beschreiben.
Jedenfalls hatte ich dabei ein böses Gewissen und fühlte
deutlich, daß ich meinem Vater gegenüber nichts Gutes
that. Außerdem empfand ich eine eisige Kälte im Herzen,
die mich auch drückte; nur der Gedanke, daß ich mich
jetzt unauflöslich mit Leodegar vereinigt habe und keine

behalten, auf die Gefahr hin, daß ich von meinem Ent¬
ſchluſſe wieder abfiele, — oder ſollte man jetzt ſogleich
meinen Willen thun unter der Bedingung, daß ich den
Schritt bis zum Tage meiner confeſſionellen Mündigkeit
geheim halte? Und war auf mein Verſprechen zu bauen?
Das letztere Verfahren wurde dennoch für gut befunden.
Für den Fall des verfrühten Kundwerdens gedachte man
auf die Aufſichts- und Rathloſigkeit hinzuweiſen, in
welcher ich gelaſſen worden ſei, und die den ehemaligen
Glaubensgenoſſen der Mutter des Kindes den gewährten
Schutz zur einfachen Pflicht gemacht habe.

Solchermaßen wurde denn auch gehandelt. Der Herr
Probſt ſelber ertheilte mir während zwei Monaten den
geiſtlichen Unterricht; dann empfing ich in der Kloſterkirche
die Taufe. Zwei Conventualen aus dem fernen Mutter¬
ſtifte, dem der Probſt angehörte, und zwei Nonnen, von
denen Klara die eine, wohnten als Taufzeugen bei. Nachher
wurden die nöthigen Urkunden aufgeſetzt und unterſchrieben,
und der Probſt verwahrte ſie einſtweilen in ſeinem Archive.
Der Name Lucia wurde mir gelaſſen.

Ich vermag meine Seelenverfaſſung während des
Unterrichts und der Ceremonie kaum zu beſchreiben.
Jedenfalls hatte ich dabei ein böſes Gewiſſen und fühlte
deutlich, daß ich meinem Vater gegenüber nichts Gutes
that. Außerdem empfand ich eine eiſige Kälte im Herzen,
die mich auch drückte; nur der Gedanke, daß ich mich
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[397/0407] behalten, auf die Gefahr hin, daß ich von meinem Ent¬ ſchluſſe wieder abfiele, — oder ſollte man jetzt ſogleich meinen Willen thun unter der Bedingung, daß ich den Schritt bis zum Tage meiner confeſſionellen Mündigkeit geheim halte? Und war auf mein Verſprechen zu bauen? Das letztere Verfahren wurde dennoch für gut befunden. Für den Fall des verfrühten Kundwerdens gedachte man auf die Aufſichts- und Rathloſigkeit hinzuweiſen, in welcher ich gelaſſen worden ſei, und die den ehemaligen Glaubensgenoſſen der Mutter des Kindes den gewährten Schutz zur einfachen Pflicht gemacht habe. Solchermaßen wurde denn auch gehandelt. Der Herr Probſt ſelber ertheilte mir während zwei Monaten den geiſtlichen Unterricht; dann empfing ich in der Kloſterkirche die Taufe. Zwei Conventualen aus dem fernen Mutter¬ ſtifte, dem der Probſt angehörte, und zwei Nonnen, von denen Klara die eine, wohnten als Taufzeugen bei. Nachher wurden die nöthigen Urkunden aufgeſetzt und unterſchrieben, und der Probſt verwahrte ſie einſtweilen in ſeinem Archive. Der Name Lucia wurde mir gelaſſen. Ich vermag meine Seelenverfaſſung während des Unterrichts und der Ceremonie kaum zu beſchreiben. Jedenfalls hatte ich dabei ein böſes Gewiſſen und fühlte deutlich, daß ich meinem Vater gegenüber nichts Gutes that. Außerdem empfand ich eine eiſige Kälte im Herzen, die mich auch drückte; nur der Gedanke, daß ich mich jetzt unauflöslich mit Leodegar vereinigt habe und keine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/407>, abgerufen am 24.11.2024.