sah. Gleich darauf versank der arme Waldbruder in das Fegefeuer des Fläschchens und zitterte schrecklich, bevor er sich zur Ruhe gab. Diesen sah ich zwar nicht, aber ich kannte das Schauspiel genugsam. Fräulein Hansa aber rief uns zu, wir sollten einstweilen nur weiter gehen, sie müsse den Ort genauer untersuchen und werde uns schon einholen.
Jetzt sah sich Leodegar nach mir um und erblickte mich in meinem verzweifelten Zustande, der mich wohl so schlimm dünkte, wie die Lage des sterbenden Kerb¬ thierchens. Ueberrascht ergriff er meine Hand, legte sie in seinen Arm und führte mich weiter, wie er vorher die Gouvernante geführt hatte, indem er sagte: Was gibt's denn da? Warum weint man? Eine Braut, eine kleine Frau, die weint, wo soll das hinaus?
So kindermäßig das klang, so tröstete mich doch der alte Titel, der mir zukam wie der Platz an der Seite des Mannes, dessen Arm mich doch eher beängstigte als erfreute. Ich antwortete nichts, trocknete die Thränen und brachte das Gesicht in Ordnung. Als wir ein hundert Schritte gegangen, erreichten wir den Saum des Gehölzes und betraten die anstoßende Haide, wo wir gleich das Grab des Piccolomini fanden. Das Immer¬ grün, das ich einst gepflanzt, hatte seit drei Jahren den kleinen Hügel dicht übersponnen; die Hollunderbüsche waren höher und breiter geworden und mit Blüthen¬ büscheln behangen, und irgend Jemand, dem das Plätzchen
ſah. Gleich darauf verſank der arme Waldbruder in das Fegefeuer des Fläſchchens und zitterte ſchrecklich, bevor er ſich zur Ruhe gab. Dieſen ſah ich zwar nicht, aber ich kannte das Schauſpiel genugſam. Fräulein Hanſa aber rief uns zu, wir ſollten einſtweilen nur weiter gehen, ſie müſſe den Ort genauer unterſuchen und werde uns ſchon einholen.
Jetzt ſah ſich Leodegar nach mir um und erblickte mich in meinem verzweifelten Zuſtande, der mich wohl ſo ſchlimm dünkte, wie die Lage des ſterbenden Kerb¬ thierchens. Ueberraſcht ergriff er meine Hand, legte ſie in ſeinen Arm und führte mich weiter, wie er vorher die Gouvernante geführt hatte, indem er ſagte: Was gibt's denn da? Warum weint man? Eine Braut, eine kleine Frau, die weint, wo ſoll das hinaus?
So kindermäßig das klang, ſo tröſtete mich doch der alte Titel, der mir zukam wie der Platz an der Seite des Mannes, deſſen Arm mich doch eher beängſtigte als erfreute. Ich antwortete nichts, trocknete die Thränen und brachte das Geſicht in Ordnung. Als wir ein hundert Schritte gegangen, erreichten wir den Saum des Gehölzes und betraten die anſtoßende Haide, wo wir gleich das Grab des Piccolomini fanden. Das Immer¬ grün, das ich einſt gepflanzt, hatte ſeit drei Jahren den kleinen Hügel dicht überſponnen; die Hollunderbüſche waren höher und breiter geworden und mit Blüthen¬ büſcheln behangen, und irgend Jemand, dem das Plätzchen
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ſah. Gleich darauf verſank der arme Waldbruder in das
Fegefeuer des Fläſchchens und zitterte ſchrecklich, bevor
er ſich zur Ruhe gab. Dieſen ſah ich zwar nicht, aber
ich kannte das Schauſpiel genugſam. Fräulein Hanſa
aber rief uns zu, wir ſollten einſtweilen nur weiter
gehen, ſie müſſe den Ort genauer unterſuchen und werde
uns ſchon einholen.
Jetzt ſah ſich Leodegar nach mir um und erblickte
mich in meinem verzweifelten Zuſtande, der mich wohl ſo
ſchlimm dünkte, wie die Lage des ſterbenden Kerb¬
thierchens. Ueberraſcht ergriff er meine Hand, legte ſie
in ſeinen Arm und führte mich weiter, wie er vorher
die Gouvernante geführt hatte, indem er ſagte: Was
gibt's denn da? Warum weint man? Eine Braut, eine
kleine Frau, die weint, wo ſoll das hinaus?
So kindermäßig das klang, ſo tröſtete mich doch der
alte Titel, der mir zukam wie der Platz an der Seite
des Mannes, deſſen Arm mich doch eher beängſtigte als
erfreute. Ich antwortete nichts, trocknete die Thränen
und brachte das Geſicht in Ordnung. Als wir ein
hundert Schritte gegangen, erreichten wir den Saum des
Gehölzes und betraten die anſtoßende Haide, wo wir
gleich das Grab des Piccolomini fanden. Das Immer¬
grün, das ich einſt gepflanzt, hatte ſeit drei Jahren den
kleinen Hügel dicht überſponnen; die Hollunderbüſche
waren höher und breiter geworden und mit Blüthen¬
büſcheln behangen, und irgend Jemand, dem das Plätzchen
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/399>, abgerufen am 24.11.2024.
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