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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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ein buntes mit seidenen Maschen geziertes Körbchen voll
Backwerk und irgend ein silbernes Kreuzchen oder Gottes¬
mütterchen zu schenken. Kamen wir dann nach Hause,
so verglich uns der selige Vater scherzend mit jenen
aztekischen Indianern, welche heutzutage noch zu gewissen
Zeiten auf den großen Strömen landeinwärts fahren sollen,
um an geheimnißvollen Orten den alten Göttern zu opfern.

Leider war ich trotz dieser Klosterfreuden schon ein
rechtes kleines Heidenstück und zwar durch den Unverstand
der großen Menschen. Es besuchte ein hübscher junger
Mann unser Haus, der so oft er mich erblickte, mich auf
seine Kniee nahm, küßte und seine kleine Frau nannte.
Als ich das vierte oder fünfte Jahr hinter mir hatte,
ließ ich mir's freilich nicht mehr gefallen; ich sträubte
mich, schlug um mich und entfloh. So oft er aber kam,
fing er mich wieder ein, und so ging das Spiel fort, bis
ich acht, bis ich zehn Jahre alt war. Ich blieb stets
gleich wild und spröde, und doch wurde ich allmälig
unzufrieden, ja unglücklich, wenn er etwa vergaß, mich
seine kleine Frau oder seine Braut zu nennen, die er zu
heirathen nicht verfehlen werde. Indessen sah ich ihn
endlich nur noch selten, weil er längere Zeiträume hin¬
durch abwesend war; wenn er einmal wieder kam, geschah
es in veränderter Gestalt, jetzt als verwegener Student,
dann als Militär in glänzender Montur, oder als ge¬
reister Weltmensch, was ihm in meinen kindischen Augen
einen geheimnißvollen Reiz verlieh.

ein buntes mit ſeidenen Maſchen geziertes Körbchen voll
Backwerk und irgend ein ſilbernes Kreuzchen oder Gottes¬
mütterchen zu ſchenken. Kamen wir dann nach Hauſe,
ſo verglich uns der ſelige Vater ſcherzend mit jenen
aztekiſchen Indianern, welche heutzutage noch zu gewiſſen
Zeiten auf den großen Strömen landeinwärts fahren ſollen,
um an geheimnißvollen Orten den alten Göttern zu opfern.

Leider war ich trotz dieſer Kloſterfreuden ſchon ein
rechtes kleines Heidenſtück und zwar durch den Unverſtand
der großen Menſchen. Es beſuchte ein hübſcher junger
Mann unſer Haus, der ſo oft er mich erblickte, mich auf
ſeine Kniee nahm, küßte und ſeine kleine Frau nannte.
Als ich das vierte oder fünfte Jahr hinter mir hatte,
ließ ich mir's freilich nicht mehr gefallen; ich ſträubte
mich, ſchlug um mich und entfloh. So oft er aber kam,
fing er mich wieder ein, und ſo ging das Spiel fort, bis
ich acht, bis ich zehn Jahre alt war. Ich blieb ſtets
gleich wild und ſpröde, und doch wurde ich allmälig
unzufrieden, ja unglücklich, wenn er etwa vergaß, mich
ſeine kleine Frau oder ſeine Braut zu nennen, die er zu
heirathen nicht verfehlen werde. Indeſſen ſah ich ihn
endlich nur noch ſelten, weil er längere Zeiträume hin¬
durch abweſend war; wenn er einmal wieder kam, geſchah
es in veränderter Geſtalt, jetzt als verwegener Student,
dann als Militär in glänzender Montur, oder als ge¬
reiſter Weltmenſch, was ihm in meinen kindiſchen Augen
einen geheimnißvollen Reiz verlieh.

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[381/0391] ein buntes mit ſeidenen Maſchen geziertes Körbchen voll Backwerk und irgend ein ſilbernes Kreuzchen oder Gottes¬ mütterchen zu ſchenken. Kamen wir dann nach Hauſe, ſo verglich uns der ſelige Vater ſcherzend mit jenen aztekiſchen Indianern, welche heutzutage noch zu gewiſſen Zeiten auf den großen Strömen landeinwärts fahren ſollen, um an geheimnißvollen Orten den alten Göttern zu opfern. Leider war ich trotz dieſer Kloſterfreuden ſchon ein rechtes kleines Heidenſtück und zwar durch den Unverſtand der großen Menſchen. Es beſuchte ein hübſcher junger Mann unſer Haus, der ſo oft er mich erblickte, mich auf ſeine Kniee nahm, küßte und ſeine kleine Frau nannte. Als ich das vierte oder fünfte Jahr hinter mir hatte, ließ ich mir's freilich nicht mehr gefallen; ich ſträubte mich, ſchlug um mich und entfloh. So oft er aber kam, fing er mich wieder ein, und ſo ging das Spiel fort, bis ich acht, bis ich zehn Jahre alt war. Ich blieb ſtets gleich wild und ſpröde, und doch wurde ich allmälig unzufrieden, ja unglücklich, wenn er etwa vergaß, mich ſeine kleine Frau oder ſeine Braut zu nennen, die er zu heirathen nicht verfehlen werde. Indeſſen ſah ich ihn endlich nur noch ſelten, weil er längere Zeiträume hin¬ durch abweſend war; wenn er einmal wieder kam, geſchah es in veränderter Geſtalt, jetzt als verwegener Student, dann als Militär in glänzender Montur, oder als ge¬ reiſter Weltmenſch, was ihm in meinen kindiſchen Augen einen geheimnißvollen Reiz verlieh.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 381. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/391>, abgerufen am 25.11.2024.