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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Dies rief sie, weil der Oberst, hinter ihr stehend, sie
an einer Bandschleife zupfte, als er das Wort vernahm.

"Und was geschieht denn mit Dir, Lux?" sagte er
hierauf.

"Mit mir? Ich muß eben das Haus hüten, wie alle
armen Haushälterinnen, und für den Abend sorgen!"

"Gut, dann sorge auch für ein rechtschaffenes Ge¬
tränke! denn das Smoliren mit dem jungen Duckmäuser
muß einmal stattfinden, daß die Duzerei durchgeführt ist.
Du kannst auch gleich mithalten!"

Beide junge Leute, errötheten wie Confirmanden, die
erst etwas erleben sollen. Kein Mensch hätte geglaubt,
daß sie sich vor einigen Monaten schon alles mögliche
Zeug erzählt hatten.

Als die Alten fort waren und jetzt auf einmal eine
Stille herrschte, standen die Jungen noch verlegen da
und schienen doch zu zögern, die innestehende Wage des
Augenblickes zu stören, bis Reinhart den Ausweg fand,
Lucien um ein Buch zu bitten, darin er lesen könne. Sie
lud ihn ein, selbst nachzusehen, was ihm diene. So gingen
sie gemächlich in das Haus hinein, die Treppe hinauf
und betraten das bescheidene Museum, in welchem das
Fräulein seine Jahre verbrachte. Durch die offenstehenden
Fenster wallte die Luft herein, indeß das milde Gold der
Septembersonne, von der grünen Seide der Gardinen
halb aufgehalten, halb durchgelassen, den Raum mit einem
sanften Dämmerschein erfüllte.

Dies rief ſie, weil der Oberſt, hinter ihr ſtehend, ſie
an einer Bandſchleife zupfte, als er das Wort vernahm.

„Und was geſchieht denn mit Dir, Lux?“ ſagte er
hierauf.

„Mit mir? Ich muß eben das Haus hüten, wie alle
armen Haushälterinnen, und für den Abend ſorgen!“

„Gut, dann ſorge auch für ein rechtſchaffenes Ge¬
tränke! denn das Smoliren mit dem jungen Duckmäuſer
muß einmal ſtattfinden, daß die Duzerei durchgeführt iſt.
Du kannſt auch gleich mithalten!“

Beide junge Leute, errötheten wie Confirmanden, die
erſt etwas erleben ſollen. Kein Menſch hätte geglaubt,
daß ſie ſich vor einigen Monaten ſchon alles mögliche
Zeug erzählt hatten.

Als die Alten fort waren und jetzt auf einmal eine
Stille herrſchte, ſtanden die Jungen noch verlegen da
und ſchienen doch zu zögern, die inneſtehende Wage des
Augenblickes zu ſtören, bis Reinhart den Ausweg fand,
Lucien um ein Buch zu bitten, darin er leſen könne. Sie
lud ihn ein, ſelbſt nachzuſehen, was ihm diene. So gingen
ſie gemächlich in das Haus hinein, die Treppe hinauf
und betraten das beſcheidene Muſeum, in welchem das
Fräulein ſeine Jahre verbrachte. Durch die offenſtehenden
Fenſter wallte die Luft herein, indeß das milde Gold der
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halb aufgehalten, halb durchgelaſſen, den Raum mit einem
ſanften Dämmerſchein erfüllte.

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[374/0384] Dies rief ſie, weil der Oberſt, hinter ihr ſtehend, ſie an einer Bandſchleife zupfte, als er das Wort vernahm. „Und was geſchieht denn mit Dir, Lux?“ ſagte er hierauf. „Mit mir? Ich muß eben das Haus hüten, wie alle armen Haushälterinnen, und für den Abend ſorgen!“ „Gut, dann ſorge auch für ein rechtſchaffenes Ge¬ tränke! denn das Smoliren mit dem jungen Duckmäuſer muß einmal ſtattfinden, daß die Duzerei durchgeführt iſt. Du kannſt auch gleich mithalten!“ Beide junge Leute, errötheten wie Confirmanden, die erſt etwas erleben ſollen. Kein Menſch hätte geglaubt, daß ſie ſich vor einigen Monaten ſchon alles mögliche Zeug erzählt hatten. Als die Alten fort waren und jetzt auf einmal eine Stille herrſchte, ſtanden die Jungen noch verlegen da und ſchienen doch zu zögern, die inneſtehende Wage des Augenblickes zu ſtören, bis Reinhart den Ausweg fand, Lucien um ein Buch zu bitten, darin er leſen könne. Sie lud ihn ein, ſelbſt nachzuſehen, was ihm diene. So gingen ſie gemächlich in das Haus hinein, die Treppe hinauf und betraten das beſcheidene Muſeum, in welchem das Fräulein ſeine Jahre verbrachte. Durch die offenſtehenden Fenſter wallte die Luft herein, indeß das milde Gold der Septemberſonne, von der grünen Seide der Gardinen halb aufgehalten, halb durchgelaſſen, den Raum mit einem ſanften Dämmerſchein erfüllte.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 374. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/384>, abgerufen am 22.11.2024.