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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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blauen Streifen gezeichnet, auf jeder Brust zwei colossale
Hände mit ausgespreizten Fingern abgebildet, so hat man
einen Vorschmack dessen, was noch kommt. Denn eine
malerische Welt für sich war das Gesicht, die eine Hälfte
der Stirn, der Augendeckel, der Nase und des Kinnbackens
bis zum Ohre mit Zinnober, die andere mit blauer
Farbe bemalt, und dazwischen eine Anzahl fein tätowirter
Linien dieser und jener Farbe. Die ganzen Ohrmuscheln
waren rings mit herabhängenden Perlquasten besetzt, die
pechschwarzen langen Haarsträhnen mit einer Menge Schnüre
von kleinen Muscheln, Beeren, Metallscheibchen u. dergl.
durchflochten und darauf noch ein Helm von weißen
Schwanenfedern gestülpt; ein Scalpiermesser sammt einem
blonden Scalp steckte als Haarnadel in dem Wirrwarr,
nicht zu gedenken noch anderer Quincaillerie, die weniger
deutlich zu unterscheiden war. Allein über all' diesem
Kopfputze sträubte sich ein Kamm gewaltiger Geierfedern,
weiß und schwarz, in die Höhe und zog sich längs des
Rückgrates hinunter gleich einem Drachenflügel, ganz aus
den längsten Schwungfedern bestehend. Dazu nun der
reich gestickte Wampumgürtel, die gestickten Schuhe und
Mocassins, so wird man gestehen müssen, daß hier ein
Schatz von Schönheit und männlicher Kraft versammelt
war. Allein erst der glühende furchtbare Blick machte
noch das Tüpfelchen auf das I, und als der Tapfere,
den man "Donner-Bär" nannte, den Tanz anhub, zu
stampfen begann und mit schrecklichem Gesange die roth

blauen Streifen gezeichnet, auf jeder Bruſt zwei coloſſale
Hände mit ausgeſpreizten Fingern abgebildet, ſo hat man
einen Vorſchmack deſſen, was noch kommt. Denn eine
maleriſche Welt für ſich war das Geſicht, die eine Hälfte
der Stirn, der Augendeckel, der Naſe und des Kinnbackens
bis zum Ohre mit Zinnober, die andere mit blauer
Farbe bemalt, und dazwiſchen eine Anzahl fein tätowirter
Linien dieſer und jener Farbe. Die ganzen Ohrmuſcheln
waren rings mit herabhängenden Perlquaſten beſetzt, die
pechſchwarzen langen Haarſträhnen mit einer Menge Schnüre
von kleinen Muſcheln, Beeren, Metallſcheibchen u. dergl.
durchflochten und darauf noch ein Helm von weißen
Schwanenfedern geſtülpt; ein Scalpiermeſſer ſammt einem
blonden Scalp ſteckte als Haarnadel in dem Wirrwarr,
nicht zu gedenken noch anderer Quincaillerie, die weniger
deutlich zu unterſcheiden war. Allein über all' dieſem
Kopfputze ſträubte ſich ein Kamm gewaltiger Geierfedern,
weiß und ſchwarz, in die Höhe und zog ſich längs des
Rückgrates hinunter gleich einem Drachenflügel, ganz aus
den längſten Schwungfedern beſtehend. Dazu nun der
reich geſtickte Wampumgürtel, die geſtickten Schuhe und
Mocaſſins, ſo wird man geſtehen müſſen, daß hier ein
Schatz von Schönheit und männlicher Kraft verſammelt
war. Allein erſt der glühende furchtbare Blick machte
noch das Tüpfelchen auf das I, und als der Tapfere,
den man „Donner-Bär“ nannte, den Tanz anhub, zu
ſtampfen begann und mit ſchrecklichem Geſange die roth

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[365/0375] blauen Streifen gezeichnet, auf jeder Bruſt zwei coloſſale Hände mit ausgeſpreizten Fingern abgebildet, ſo hat man einen Vorſchmack deſſen, was noch kommt. Denn eine maleriſche Welt für ſich war das Geſicht, die eine Hälfte der Stirn, der Augendeckel, der Naſe und des Kinnbackens bis zum Ohre mit Zinnober, die andere mit blauer Farbe bemalt, und dazwiſchen eine Anzahl fein tätowirter Linien dieſer und jener Farbe. Die ganzen Ohrmuſcheln waren rings mit herabhängenden Perlquaſten beſetzt, die pechſchwarzen langen Haarſträhnen mit einer Menge Schnüre von kleinen Muſcheln, Beeren, Metallſcheibchen u. dergl. durchflochten und darauf noch ein Helm von weißen Schwanenfedern geſtülpt; ein Scalpiermeſſer ſammt einem blonden Scalp ſteckte als Haarnadel in dem Wirrwarr, nicht zu gedenken noch anderer Quincaillerie, die weniger deutlich zu unterſcheiden war. Allein über all' dieſem Kopfputze ſträubte ſich ein Kamm gewaltiger Geierfedern, weiß und ſchwarz, in die Höhe und zog ſich längs des Rückgrates hinunter gleich einem Drachenflügel, ganz aus den längſten Schwungfedern beſtehend. Dazu nun der reich geſtickte Wampumgürtel, die geſtickten Schuhe und Mocaſſins, ſo wird man geſtehen müſſen, daß hier ein Schatz von Schönheit und männlicher Kraft verſammelt war. Allein erſt der glühende furchtbare Blick machte noch das Tüpfelchen auf das I, und als der Tapfere, den man „Donner-Bär“ nannte, den Tanz anhub, zu ſtampfen begann und mit ſchrecklichem Geſange die roth

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/375>, abgerufen am 23.11.2024.