so half es doch weder ihr noch der schlafenden Schönen; sie mußte mit dem Diebe gehen und nahm das Glück der armen Guillemette mit sich. Als sie erwachte und einige Zeit später den Verlust entdeckte, suchte sie das Herz überall, und erst als sie es nirgends fand, erschrak sie und sann beklommen nach, wo es möchte geblieben sein. Sie fragte auch den Thibaut, ob er es nicht gefunden habe, und als er das verneinte, glaubte sie ihm anzusehen, daß er doch darum wisse. Sie bat ihn heftig, es ihr zu sagen; er läugnete und lachte zugleich und sie betrachtete ihn zweifelnd und gerieth über seinem Anblick in große Angst, da er immer mit den Augen zwinkerte. Zuletzt fiel sie ihm zu Füßen und flehte, er möchte ihr das Herz wiedergeben oder sagen, wo es sei, und erst jetzt hielt er seinen Raub für eine rühmliche Beute, weil er merkte, wie viel ihr daran gelegen und daß sie dem Weinen nahe war. Wie wenn er sich in falschen Schwüren üben wollte, beschwor er laut und heuchlerisch seine Unschuld, machte aber, daß er fortkam, und ließ sich nie wieder vor ihr blicken. Als der Verlobte nach einem Jahre aus den Colonien zurückkehrte und, das Herz vermissend, nach demselben fragte, sagte die Braut der Wahrheit gemäß, daß sie es entweder verloren habe oder es ihr gestohlen worden sei, sie wisse das nicht recht; allein sie brachte die Worte so verlegen, so erschrocken hervor, daß der Bräutigam einem etwelchen Verdachte nicht widerstehen konnte. Und als er dringend nach den Umständen fragte,
ſo half es doch weder ihr noch der ſchlafenden Schönen; ſie mußte mit dem Diebe gehen und nahm das Glück der armen Guillemette mit ſich. Als ſie erwachte und einige Zeit ſpäter den Verluſt entdeckte, ſuchte ſie das Herz überall, und erſt als ſie es nirgends fand, erſchrak ſie und ſann beklommen nach, wo es möchte geblieben ſein. Sie fragte auch den Thibaut, ob er es nicht gefunden habe, und als er das verneinte, glaubte ſie ihm anzuſehen, daß er doch darum wiſſe. Sie bat ihn heftig, es ihr zu ſagen; er läugnete und lachte zugleich und ſie betrachtete ihn zweifelnd und gerieth über ſeinem Anblick in große Angſt, da er immer mit den Augen zwinkerte. Zuletzt fiel ſie ihm zu Füßen und flehte, er möchte ihr das Herz wiedergeben oder ſagen, wo es ſei, und erſt jetzt hielt er ſeinen Raub für eine rühmliche Beute, weil er merkte, wie viel ihr daran gelegen und daß ſie dem Weinen nahe war. Wie wenn er ſich in falſchen Schwüren üben wollte, beſchwor er laut und heuchleriſch ſeine Unſchuld, machte aber, daß er fortkam, und ließ ſich nie wieder vor ihr blicken. Als der Verlobte nach einem Jahre aus den Colonien zurückkehrte und, das Herz vermiſſend, nach demſelben fragte, ſagte die Braut der Wahrheit gemäß, daß ſie es entweder verloren habe oder es ihr geſtohlen worden ſei, ſie wiſſe das nicht recht; allein ſie brachte die Worte ſo verlegen, ſo erſchrocken hervor, daß der Bräutigam einem etwelchen Verdachte nicht widerſtehen konnte. Und als er dringend nach den Umſtänden fragte,
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ſo half es doch weder ihr noch der ſchlafenden Schönen;
ſie mußte mit dem Diebe gehen und nahm das Glück der
armen Guillemette mit ſich. Als ſie erwachte und einige
Zeit ſpäter den Verluſt entdeckte, ſuchte ſie das Herz
überall, und erſt als ſie es nirgends fand, erſchrak ſie
und ſann beklommen nach, wo es möchte geblieben ſein.
Sie fragte auch den Thibaut, ob er es nicht gefunden
habe, und als er das verneinte, glaubte ſie ihm anzuſehen,
daß er doch darum wiſſe. Sie bat ihn heftig, es ihr zu
ſagen; er läugnete und lachte zugleich und ſie betrachtete
ihn zweifelnd und gerieth über ſeinem Anblick in große
Angſt, da er immer mit den Augen zwinkerte. Zuletzt
fiel ſie ihm zu Füßen und flehte, er möchte ihr das Herz
wiedergeben oder ſagen, wo es ſei, und erſt jetzt hielt er
ſeinen Raub für eine rühmliche Beute, weil er merkte,
wie viel ihr daran gelegen und daß ſie dem Weinen nahe
war. Wie wenn er ſich in falſchen Schwüren üben
wollte, beſchwor er laut und heuchleriſch ſeine Unſchuld,
machte aber, daß er fortkam, und ließ ſich nie wieder vor
ihr blicken. Als der Verlobte nach einem Jahre aus den
Colonien zurückkehrte und, das Herz vermiſſend, nach
demſelben fragte, ſagte die Braut der Wahrheit gemäß,
daß ſie es entweder verloren habe oder es ihr geſtohlen
worden ſei, ſie wiſſe das nicht recht; allein ſie brachte
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Bräutigam einem etwelchen Verdachte nicht widerſtehen
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/361>, abgerufen am 22.11.2024.
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