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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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von der Mama, den Frau Tanten und allerhand Cousinen
erbitten oder schenken lassen, weil sich ihre königliche Hoheit
nicht damit abgeben kann, so viele kleine Gegenstände aus¬
zusuchen und zusammen zu stellen!"

"Ei warum nicht gar," meinte der Cornett, "das
wären langweilige Berlocken! Es müssen eroberte Trophäen
sein! Jeder Gentilhomme trägt sie!"

Thibaut entschied sich für die letztere Auslegung, und
als er in seine Stadt Tours zurückkam, sah er sich von
Stund' an nach den Gelegenheiten um, die schrecklichen
Raubzüge zu beginnen. Er vermied die Plauderstübchen
der alten Tanten und guckte eifrig nach jungen Mädchen
aus, die etwas Glänzendes an sich trugen, sei es am
Halse, an der Hand oder an den Ohren. Da er sich
aber auf die Hauptsache, die Eroberung der Herzen, noch
nicht verstand und nach einigen thörichten Possen gleich
nach jenen Dingen greifen wollte, so wurde ihm überall
auf die Finger geschlagen und es wollte sich Nichts für
seine Uhr ergeben.

Einst reiste er für die Osterfeiertage nach Beaugency
an der Loire, wo er Verwandte besaß, und da schien sich
ein Anfang für seine Unternehmungen gestalten zu wollen.
Es war nämlich ein sehr schönes Frauenzimmer aus dem
benachbarten Orleans dort zum Besuche, das freilich schon
etwa zweiundzwanzig Jahre zählte und daher den Kopf
eine Hand breit höher trug, als der kaum siebzehnjährige
Fähnrich, wie sie auch ohnehin hochgewachsen war. Aber

von der Mama, den Frau Tanten und allerhand Couſinen
erbitten oder ſchenken laſſen, weil ſich ihre königliche Hoheit
nicht damit abgeben kann, ſo viele kleine Gegenſtände aus¬
zuſuchen und zuſammen zu ſtellen!“

„Ei warum nicht gar,“ meinte der Cornett, „das
wären langweilige Berlocken! Es müſſen eroberte Trophäen
ſein! Jeder Gentilhomme trägt ſie!“

Thibaut entſchied ſich für die letztere Auslegung, und
als er in ſeine Stadt Tours zurückkam, ſah er ſich von
Stund' an nach den Gelegenheiten um, die ſchrecklichen
Raubzüge zu beginnen. Er vermied die Plauderſtübchen
der alten Tanten und guckte eifrig nach jungen Mädchen
aus, die etwas Glänzendes an ſich trugen, ſei es am
Halſe, an der Hand oder an den Ohren. Da er ſich
aber auf die Hauptſache, die Eroberung der Herzen, noch
nicht verſtand und nach einigen thörichten Poſſen gleich
nach jenen Dingen greifen wollte, ſo wurde ihm überall
auf die Finger geſchlagen und es wollte ſich Nichts für
ſeine Uhr ergeben.

Einſt reiſte er für die Oſterfeiertage nach Beaugency
an der Loire, wo er Verwandte beſaß, und da ſchien ſich
ein Anfang für ſeine Unternehmungen geſtalten zu wollen.
Es war nämlich ein ſehr ſchönes Frauenzimmer aus dem
benachbarten Orleans dort zum Beſuche, das freilich ſchon
etwa zweiundzwanzig Jahre zählte und daher den Kopf
eine Hand breit höher trug, als der kaum ſiebzehnjährige
Fähnrich, wie ſie auch ohnehin hochgewachſen war. Aber

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[348/0358] von der Mama, den Frau Tanten und allerhand Couſinen erbitten oder ſchenken laſſen, weil ſich ihre königliche Hoheit nicht damit abgeben kann, ſo viele kleine Gegenſtände aus¬ zuſuchen und zuſammen zu ſtellen!“ „Ei warum nicht gar,“ meinte der Cornett, „das wären langweilige Berlocken! Es müſſen eroberte Trophäen ſein! Jeder Gentilhomme trägt ſie!“ Thibaut entſchied ſich für die letztere Auslegung, und als er in ſeine Stadt Tours zurückkam, ſah er ſich von Stund' an nach den Gelegenheiten um, die ſchrecklichen Raubzüge zu beginnen. Er vermied die Plauderſtübchen der alten Tanten und guckte eifrig nach jungen Mädchen aus, die etwas Glänzendes an ſich trugen, ſei es am Halſe, an der Hand oder an den Ohren. Da er ſich aber auf die Hauptſache, die Eroberung der Herzen, noch nicht verſtand und nach einigen thörichten Poſſen gleich nach jenen Dingen greifen wollte, ſo wurde ihm überall auf die Finger geſchlagen und es wollte ſich Nichts für ſeine Uhr ergeben. Einſt reiſte er für die Oſterfeiertage nach Beaugency an der Loire, wo er Verwandte beſaß, und da ſchien ſich ein Anfang für ſeine Unternehmungen geſtalten zu wollen. Es war nämlich ein ſehr ſchönes Frauenzimmer aus dem benachbarten Orleans dort zum Beſuche, das freilich ſchon etwa zweiundzwanzig Jahre zählte und daher den Kopf eine Hand breit höher trug, als der kaum ſiebzehnjährige Fähnrich, wie ſie auch ohnehin hochgewachſen war. Aber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/358>, abgerufen am 23.11.2024.