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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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würdigen Matronen auf, deren Putzschachteln, Galanterie¬
schränke und bemalte Coffrets er durchschnüffelte und von
denen er sich Geschichten erzählen ließ, während er ihre
Cremetörtchen, Blancmangers und Zuckerbrödchen schmauste.
Aber auch diesem unschuldigen Knaben schlug die Stunde
des Schicksals, wo sich die Sachen änderten und er begann
ein gefährlicher Mensch und Mann zu werden.

Zum Pagendienste bei den Ceremonien der königlichen
Vermählung wurden aus der Armee eine Anzahl gerade
solcher hübschen Bürschchen zusammen gesucht und nach
Paris berufen, und auch der zierliche junge Thibaut ward
des Glückes theilhaft. Nach dem Schlusse der Festlichkeiten
geschah es dann, daß unter Anderem auch die sämmtlichen
Pagen in einem Salon des Versailler Schlosses ver¬
sammelt, gespeist und beschenkt wurden, eh' sie zur Heim¬
reise auseinandergingen. Nachdem ein Kammerherr oder
so was Jedem sein Packetchen überreicht, wurde ihnen
unerwartet kund gethan, daß die junge Dauphine die
Junker noch zu sehen wünsche. Sie mußten also hin¬
marschieren, wo sie mit einigen Hofdamen saß; jeder
Einzelne wurde ihr vorgestellt und erhielt unter graziösen
Dankesworten für seinen artigen Dienst noch eigenhändig
ein Geschenk, das ihr ein Hofherr darreichte. So bekam
Thibaut eine schöne goldene Uhr, aber ohne Kette oder
Band, mit den Worten, die Berlocken müsse er sich mit
der Zeit selbst dazu erobern.

Ganz roth vor Vergnügen betrachtete Thibaut die

würdigen Matronen auf, deren Putzſchachteln, Galanterie¬
ſchränke und bemalte Coffrets er durchſchnüffelte und von
denen er ſich Geſchichten erzählen ließ, während er ihre
Crêmetörtchen, Blancmangers und Zuckerbrödchen ſchmauſte.
Aber auch dieſem unſchuldigen Knaben ſchlug die Stunde
des Schickſals, wo ſich die Sachen änderten und er begann
ein gefährlicher Menſch und Mann zu werden.

Zum Pagendienſte bei den Ceremonien der königlichen
Vermählung wurden aus der Armee eine Anzahl gerade
ſolcher hübſchen Bürſchchen zuſammen geſucht und nach
Paris berufen, und auch der zierliche junge Thibaut ward
des Glückes theilhaft. Nach dem Schluſſe der Feſtlichkeiten
geſchah es dann, daß unter Anderem auch die ſämmtlichen
Pagen in einem Salon des Verſailler Schloſſes ver¬
ſammelt, geſpeiſt und beſchenkt wurden, eh' ſie zur Heim¬
reiſe auseinandergingen. Nachdem ein Kammerherr oder
ſo was Jedem ſein Packetchen überreicht, wurde ihnen
unerwartet kund gethan, daß die junge Dauphine die
Junker noch zu ſehen wünſche. Sie mußten alſo hin¬
marſchieren, wo ſie mit einigen Hofdamen ſaß; jeder
Einzelne wurde ihr vorgeſtellt und erhielt unter graziöſen
Dankesworten für ſeinen artigen Dienſt noch eigenhändig
ein Geſchenk, das ihr ein Hofherr darreichte. So bekam
Thibaut eine ſchöne goldene Uhr, aber ohne Kette oder
Band, mit den Worten, die Berlocken müſſe er ſich mit
der Zeit ſelbſt dazu erobern.

Ganz roth vor Vergnügen betrachtete Thibaut die

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[346/0356] würdigen Matronen auf, deren Putzſchachteln, Galanterie¬ ſchränke und bemalte Coffrets er durchſchnüffelte und von denen er ſich Geſchichten erzählen ließ, während er ihre Crêmetörtchen, Blancmangers und Zuckerbrödchen ſchmauſte. Aber auch dieſem unſchuldigen Knaben ſchlug die Stunde des Schickſals, wo ſich die Sachen änderten und er begann ein gefährlicher Menſch und Mann zu werden. Zum Pagendienſte bei den Ceremonien der königlichen Vermählung wurden aus der Armee eine Anzahl gerade ſolcher hübſchen Bürſchchen zuſammen geſucht und nach Paris berufen, und auch der zierliche junge Thibaut ward des Glückes theilhaft. Nach dem Schluſſe der Feſtlichkeiten geſchah es dann, daß unter Anderem auch die ſämmtlichen Pagen in einem Salon des Verſailler Schloſſes ver¬ ſammelt, geſpeiſt und beſchenkt wurden, eh' ſie zur Heim¬ reiſe auseinandergingen. Nachdem ein Kammerherr oder ſo was Jedem ſein Packetchen überreicht, wurde ihnen unerwartet kund gethan, daß die junge Dauphine die Junker noch zu ſehen wünſche. Sie mußten alſo hin¬ marſchieren, wo ſie mit einigen Hofdamen ſaß; jeder Einzelne wurde ihr vorgeſtellt und erhielt unter graziöſen Dankesworten für ſeinen artigen Dienſt noch eigenhändig ein Geſchenk, das ihr ein Hofherr darreichte. So bekam Thibaut eine ſchöne goldene Uhr, aber ohne Kette oder Band, mit den Worten, die Berlocken müſſe er ſich mit der Zeit ſelbſt dazu erobern. Ganz roth vor Vergnügen betrachtete Thibaut die

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/356>, abgerufen am 22.11.2024.