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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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ersten Male ihm gegenüber hören ließ und sich lange
darauf gefreut hatte.

"Wo hast Du den Ring gelassen, den ich Dir ge¬
geben?" fragte er sie, ihre Hand ergreifend, wie wenn
er ihn suchte.

"Verzeih', Herr, man hat mir den Ring genommen!"
sagte sie mit gesenktem Blicke.

Er trat zu einem schweren Schranke, aus welchem er
ein mit Silber eingelegtes glänzendes Stahlköfferchen
holte, das er öffnete. Die darin liegenden Schmucksachen
und Kleinodien mit einem Rucke durcheinander rüttelnd,
bis er einen Frauenring fand, hielt er denselben einen
Augenblick gegen das Licht, wie wenn er sich ein letztes
Mal den Schritt überlegte, den zu thun sich ihm nochmals
die Wahl bot. Als er vor zwölf Jahren ausgezogen war,
die erste Frau zu freien, hatte er in der Eile vergessen,
den Trauring seiner Mutter mitzunehmen, wie er sich
vorgenommen. Jene dunkeln Vorgänge mit ihrer elenden
Täuschung traten einen Moment vor seine Seele; doch
dünkte ihm der Umstand, daß der unentweihte Ring jetzt
im rechten Augenblicke noch zur Hand war, ein günstiges
Zeichen, und er steckte ihn der Zambo an den Finger,
daran der frühere gesessen.

Das Trauungsfest, welches er ohne Zaudern herbei¬
führte, machte trotz der verhältnißmäßig großen Einfachheit
ein allgemeines Aufsehen, obschon kein so schreiendes, wie
es heutzutage der Fall sein würde. Selbst der König

erſten Male ihm gegenüber hören ließ und ſich lange
darauf gefreut hatte.

„Wo haſt Du den Ring gelaſſen, den ich Dir ge¬
geben?“ fragte er ſie, ihre Hand ergreifend, wie wenn
er ihn ſuchte.

„Verzeih', Herr, man hat mir den Ring genommen!“
ſagte ſie mit geſenktem Blicke.

Er trat zu einem ſchweren Schranke, aus welchem er
ein mit Silber eingelegtes glänzendes Stahlköfferchen
holte, das er öffnete. Die darin liegenden Schmuckſachen
und Kleinodien mit einem Rucke durcheinander rüttelnd,
bis er einen Frauenring fand, hielt er denſelben einen
Augenblick gegen das Licht, wie wenn er ſich ein letztes
Mal den Schritt überlegte, den zu thun ſich ihm nochmals
die Wahl bot. Als er vor zwölf Jahren ausgezogen war,
die erſte Frau zu freien, hatte er in der Eile vergeſſen,
den Trauring ſeiner Mutter mitzunehmen, wie er ſich
vorgenommen. Jene dunkeln Vorgänge mit ihrer elenden
Täuſchung traten einen Moment vor ſeine Seele; doch
dünkte ihm der Umſtand, daß der unentweihte Ring jetzt
im rechten Augenblicke noch zur Hand war, ein günſtiges
Zeichen, und er ſteckte ihn der Zambo an den Finger,
daran der frühere geſeſſen.

Das Trauungsfeſt, welches er ohne Zaudern herbei¬
führte, machte trotz der verhältnißmäßig großen Einfachheit
ein allgemeines Aufſehen, obſchon kein ſo ſchreiendes, wie
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[340/0350] erſten Male ihm gegenüber hören ließ und ſich lange darauf gefreut hatte. „Wo haſt Du den Ring gelaſſen, den ich Dir ge¬ geben?“ fragte er ſie, ihre Hand ergreifend, wie wenn er ihn ſuchte. „Verzeih', Herr, man hat mir den Ring genommen!“ ſagte ſie mit geſenktem Blicke. Er trat zu einem ſchweren Schranke, aus welchem er ein mit Silber eingelegtes glänzendes Stahlköfferchen holte, das er öffnete. Die darin liegenden Schmuckſachen und Kleinodien mit einem Rucke durcheinander rüttelnd, bis er einen Frauenring fand, hielt er denſelben einen Augenblick gegen das Licht, wie wenn er ſich ein letztes Mal den Schritt überlegte, den zu thun ſich ihm nochmals die Wahl bot. Als er vor zwölf Jahren ausgezogen war, die erſte Frau zu freien, hatte er in der Eile vergeſſen, den Trauring ſeiner Mutter mitzunehmen, wie er ſich vorgenommen. Jene dunkeln Vorgänge mit ihrer elenden Täuſchung traten einen Moment vor ſeine Seele; doch dünkte ihm der Umſtand, daß der unentweihte Ring jetzt im rechten Augenblicke noch zur Hand war, ein günſtiges Zeichen, und er ſteckte ihn der Zambo an den Finger, daran der frühere geſeſſen. Das Trauungsfeſt, welches er ohne Zaudern herbei¬ führte, machte trotz der verhältnißmäßig großen Einfachheit ein allgemeines Aufſehen, obſchon kein ſo ſchreiendes, wie es heutzutage der Fall ſein würde. Selbſt der König

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/350>, abgerufen am 25.11.2024.