die eiserne Wanduhr in der Kammer das Viertel auf Mitternacht schlug.
"Wenn Du nicht gleich fertig wirst," sagte Correa, "so trag' ich Dich mit Gewalt hinunter wie Du bist."
"Nur noch das große Halsband will ich holen", rief sie, "und den Rubin, der zu dem schwarzen Kleide so gut steht. Und meine weißen Kragen hat die Kammerfrau heute unter den Händen gehabt. Im Augenblick bin ich wieder da."
Damit schlüpfte sie aus einer Thüre, eh' Correa sich besonnen hatte, ob er sie gehen lassen wolle. Die Thüre verschloß sie von außen, ganz leise, und durcheilte mit dem Licht in der Hand die übrigen Räume, bis sie ein Stockwerk tiefer ihre vertriebenen Genossen fand, die mit lauernden Blicken in einem Häuflein standen.
"Zündet an! Zündet an!" kreischte sie heiser; "er ist ein Pirat und hat ein Schiff auf der See! Steckt un¬ verzüglich an, es wird Euch nicht reuen! Zündet an! Freiheit und Leben sind wol einen alten Thurm werth!"
Gleich einer Furie eilte sie voraus und hielt das Licht an einen Haufen Reisig, der auf einer hölzernen Treppe lag, während die Uebrigen ein Gebirge von Strohwellen in Brand setzten, das die steinerne Haupttreppe verstopfte. Dann wurde in der Küche ein großer Stoß entzündlicher Stoffe entflammt, deren Gluth bald die hölzerne Diele ergreifen mußte; dann vertheilten sich die Dämonen auf den untersten Flur, in den Stall, die Scheune, den Holz¬
die eiſerne Wanduhr in der Kammer das Viertel auf Mitternacht ſchlug.
„Wenn Du nicht gleich fertig wirſt,“ ſagte Correa, „ſo trag' ich Dich mit Gewalt hinunter wie Du biſt.“
„Nur noch das große Halsband will ich holen“, rief ſie, „und den Rubin, der zu dem ſchwarzen Kleide ſo gut ſteht. Und meine weißen Kragen hat die Kammerfrau heute unter den Händen gehabt. Im Augenblick bin ich wieder da.“
Damit ſchlüpfte ſie aus einer Thüre, eh' Correa ſich beſonnen hatte, ob er ſie gehen laſſen wolle. Die Thüre verſchloß ſie von außen, ganz leiſe, und durcheilte mit dem Licht in der Hand die übrigen Räume, bis ſie ein Stockwerk tiefer ihre vertriebenen Genoſſen fand, die mit lauernden Blicken in einem Häuflein ſtanden.
„Zündet an! Zündet an!“ kreiſchte ſie heiſer; „er iſt ein Pirat und hat ein Schiff auf der See! Steckt un¬ verzüglich an, es wird Euch nicht reuen! Zündet an! Freiheit und Leben ſind wol einen alten Thurm werth!“
Gleich einer Furie eilte ſie voraus und hielt das Licht an einen Haufen Reiſig, der auf einer hölzernen Treppe lag, während die Uebrigen ein Gebirge von Strohwellen in Brand ſetzten, das die ſteinerne Haupttreppe verſtopfte. Dann wurde in der Küche ein großer Stoß entzündlicher Stoffe entflammt, deren Gluth bald die hölzerne Diele ergreifen mußte; dann vertheilten ſich die Dämonen auf den unterſten Flur, in den Stall, die Scheune, den Holz¬
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die eiſerne Wanduhr in der Kammer das Viertel auf
Mitternacht ſchlug.
„Wenn Du nicht gleich fertig wirſt,“ ſagte Correa,
„ſo trag' ich Dich mit Gewalt hinunter wie Du biſt.“
„Nur noch das große Halsband will ich holen“, rief
ſie, „und den Rubin, der zu dem ſchwarzen Kleide ſo gut
ſteht. Und meine weißen Kragen hat die Kammerfrau
heute unter den Händen gehabt. Im Augenblick bin ich
wieder da.“
Damit ſchlüpfte ſie aus einer Thüre, eh' Correa ſich
beſonnen hatte, ob er ſie gehen laſſen wolle. Die Thüre
verſchloß ſie von außen, ganz leiſe, und durcheilte mit
dem Licht in der Hand die übrigen Räume, bis ſie ein
Stockwerk tiefer ihre vertriebenen Genoſſen fand, die mit
lauernden Blicken in einem Häuflein ſtanden.
„Zündet an! Zündet an!“ kreiſchte ſie heiſer; „er iſt
ein Pirat und hat ein Schiff auf der See! Steckt un¬
verzüglich an, es wird Euch nicht reuen! Zündet an!
Freiheit und Leben ſind wol einen alten Thurm werth!“
Gleich einer Furie eilte ſie voraus und hielt das Licht
an einen Haufen Reiſig, der auf einer hölzernen Treppe
lag, während die Uebrigen ein Gebirge von Strohwellen
in Brand ſetzten, das die ſteinerne Haupttreppe verſtopfte.
Dann wurde in der Küche ein großer Stoß entzündlicher
Stoffe entflammt, deren Gluth bald die hölzerne Diele
ergreifen mußte; dann vertheilten ſich die Dämonen auf
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/304>, abgerufen am 22.11.2024.
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