Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch gegeben, auf Eueren Irrfahrten so bald durchgebracht, daß Ihr in Euerem mottenzerfressenen Bettlermantel wieder vor mir steht?"
Er überlegte einen Augenblick, was sie eigentlich gesagt habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und Liebevolles sei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen Worten:
"Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich weggeschickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem Sessel steht? Hat dieser nicht ausgerichtet, daß er ent¬ lassen sei? Und wer ist der fremde Herr, den ich an meinem Tische so breit da sitzen sehe, ohne mein Vor¬ wissen?"
Die Dienstleute blickten alle halb spöttisch, halb ängstlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick auf sein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem Leder mit großen Messingschnallen in der Fensternische hing.
Feniza aber sagte mit schnippischen und schnöden Worten:
"Dieser Tisch ist, so viel mir bewußt, mein Tisch, und es sitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, statt zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei ist, und stärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch
Keller, Sinngedicht. 19
Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch gegeben, auf Eueren Irrfahrten ſo bald durchgebracht, daß Ihr in Euerem mottenzerfreſſenen Bettlermantel wieder vor mir ſteht?“
Er überlegte einen Augenblick, was ſie eigentlich geſagt habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und Liebevolles ſei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen Worten:
„Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich weggeſchickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem Seſſel ſteht? Hat dieſer nicht ausgerichtet, daß er ent¬ laſſen ſei? Und wer iſt der fremde Herr, den ich an meinem Tiſche ſo breit da ſitzen ſehe, ohne mein Vor¬ wiſſen?“
Die Dienſtleute blickten alle halb ſpöttiſch, halb ängſtlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick auf ſein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem Leder mit großen Meſſingſchnallen in der Fenſterniſche hing.
Feniza aber ſagte mit ſchnippiſchen und ſchnöden Worten:
„Dieſer Tiſch iſt, ſo viel mir bewußt, mein Tiſch, und es ſitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, ſtatt zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei iſt, und ſtärkt Euch, wenn Ihr Hunger habt! Aber benehmt Euch
Keller, Sinngedicht. 19
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Habt Ihr, edler Don, Kleider und Geld, was ich Euch
gegeben, auf Eueren Irrfahrten ſo bald durchgebracht,
daß Ihr in Euerem mottenzerfreſſenen Bettlermantel
wieder vor mir ſteht?“
Er überlegte einen Augenblick, was ſie eigentlich geſagt
habe, und fand, daß es jedenfalls nichts Schönes und
Liebevolles ſei. Einen Blick auf die kleine Tafelrunde
werfend, antwortete er, mehr um aus der Verlegenheit
zu kommen, mit trockenen, aber nicht ganz traulichen
Worten:
„Laß Dich lieber fragen, meine gute Hausfrau, wie
es kommt, daß ich hier die Leute noch vorfinde, die ich
weggeſchickt habe, bis auf den Spatz, der hinter Deinem
Seſſel ſteht? Hat dieſer nicht ausgerichtet, daß er ent¬
laſſen ſei? Und wer iſt der fremde Herr, den ich an
meinem Tiſche ſo breit da ſitzen ſehe, ohne mein Vor¬
wiſſen?“
Die Dienſtleute blickten alle halb ſpöttiſch, halb
ängſtlich auf die Gebieterin; der Fremde warf einen Blick
auf ſein Seitengewehr, das an breiter Koppel von gelbem
Leder mit großen Meſſingſchnallen in der Fenſterniſche hing.
Feniza aber ſagte mit ſchnippiſchen und ſchnöden
Worten:
„Dieſer Tiſch iſt, ſo viel mir bewußt, mein Tiſch,
und es ſitzt daran, wem ich es erlaube. Nehmt, ſtatt
zu zanken, lieber den Platz ein, der noch frei iſt, und
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Keller, Sinngedicht. 19
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 289. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/299>, abgerufen am 23.11.2024.
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