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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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nun quer auf demselben; mehr vermochte ich nicht zu thun,
weil das Unbekannte trotz der possenhaften Form, in der
es sich ankündigte, lähmend auf meine Glieder wirkte.
Eben dies Possenhafte war ja selbst schreckhaft mit seinem
Höllenhumor. Plötzlich wehen die Gardinen wieder, der
eisige Hauch fährt mir über die linke Seite des Gesichtes
und über den Nacken. Und indem ich mich schüttle, höre
ich dicht hinter mir, wie durch die Wand hindurch, Schritte
schlurfen, eine dünne zitternde Weiberstimme stöhnt etwas
Unverständliches, und indem ich mit neuem Schrecken hin¬
höre, steht schon einen Schritt links von mir eine gebeugte
graue Weibergestalt mit einer verschollenen Schleiermantille
um den Kopf. Sie muß hinter meinen Bettvorhängen
und aus der Wand hervorgekommen sein. Nur einen
Augenblick steht sie still, um Athem zu schöpfen; denn sie
keucht wie eine engbrüstige Alte, die treppauf und nieder
und durch lange Corridore gegangen ist. Dann schlurft
sie mit klatschenden Pantoffeln weiter, schräg über den
Zimmerboden, auf die Schreibcommode zu, vor der sie
anhält. Mit einer leichenblassen Hand tastet sie an dem
alten Möbel herum, wie wenn sie das Schlüsselloch suchte;
ich sehe die gespreizten mageren Finger herumfahren.
Richtig zieht sie einen Bund kleiner Schlüssel hervor, sucht
einen derselben aus, steckt ihn in das Schlüsselloch und
schließt die Schreibklappe auf. Unmittelbar darauf zieht
sie mit sicherem Griff eines von den vielen Schieblädchen
des Innern ganz heraus, guckt in die leere Oeffnung und

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nun quer auf demſelben; mehr vermochte ich nicht zu thun,
weil das Unbekannte trotz der poſſenhaften Form, in der
es ſich ankündigte, lähmend auf meine Glieder wirkte.
Eben dies Poſſenhafte war ja ſelbſt ſchreckhaft mit ſeinem
Höllenhumor. Plötzlich wehen die Gardinen wieder, der
eiſige Hauch fährt mir über die linke Seite des Geſichtes
und über den Nacken. Und indem ich mich ſchüttle, höre
ich dicht hinter mir, wie durch die Wand hindurch, Schritte
ſchlurfen, eine dünne zitternde Weiberſtimme ſtöhnt etwas
Unverſtändliches, und indem ich mit neuem Schrecken hin¬
höre, ſteht ſchon einen Schritt links von mir eine gebeugte
graue Weibergeſtalt mit einer verſchollenen Schleiermantille
um den Kopf. Sie muß hinter meinen Bettvorhängen
und aus der Wand hervorgekommen ſein. Nur einen
Augenblick ſteht ſie ſtill, um Athem zu ſchöpfen; denn ſie
keucht wie eine engbrüſtige Alte, die treppauf und nieder
und durch lange Corridore gegangen iſt. Dann ſchlurft
ſie mit klatſchenden Pantoffeln weiter, ſchräg über den
Zimmerboden, auf die Schreibcommode zu, vor der ſie
anhält. Mit einer leichenblaſſen Hand taſtet ſie an dem
alten Möbel herum, wie wenn ſie das Schlüſſelloch ſuchte;
ich ſehe die geſpreizten mageren Finger herumfahren.
Richtig zieht ſie einen Bund kleiner Schlüſſel hervor, ſucht
einen derſelben aus, ſteckt ihn in das Schlüſſelloch und
ſchließt die Schreibklappe auf. Unmittelbar darauf zieht
ſie mit ſicherem Griff eines von den vielen Schieblädchen
des Innern ganz heraus, guckt in die leere Oeffnung und

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[243/0253] nun quer auf demſelben; mehr vermochte ich nicht zu thun, weil das Unbekannte trotz der poſſenhaften Form, in der es ſich ankündigte, lähmend auf meine Glieder wirkte. Eben dies Poſſenhafte war ja ſelbſt ſchreckhaft mit ſeinem Höllenhumor. Plötzlich wehen die Gardinen wieder, der eiſige Hauch fährt mir über die linke Seite des Geſichtes und über den Nacken. Und indem ich mich ſchüttle, höre ich dicht hinter mir, wie durch die Wand hindurch, Schritte ſchlurfen, eine dünne zitternde Weiberſtimme ſtöhnt etwas Unverſtändliches, und indem ich mit neuem Schrecken hin¬ höre, ſteht ſchon einen Schritt links von mir eine gebeugte graue Weibergeſtalt mit einer verſchollenen Schleiermantille um den Kopf. Sie muß hinter meinen Bettvorhängen und aus der Wand hervorgekommen ſein. Nur einen Augenblick ſteht ſie ſtill, um Athem zu ſchöpfen; denn ſie keucht wie eine engbrüſtige Alte, die treppauf und nieder und durch lange Corridore gegangen iſt. Dann ſchlurft ſie mit klatſchenden Pantoffeln weiter, ſchräg über den Zimmerboden, auf die Schreibcommode zu, vor der ſie anhält. Mit einer leichenblaſſen Hand taſtet ſie an dem alten Möbel herum, wie wenn ſie das Schlüſſelloch ſuchte; ich ſehe die geſpreizten mageren Finger herumfahren. Richtig zieht ſie einen Bund kleiner Schlüſſel hervor, ſucht einen derſelben aus, ſteckt ihn in das Schlüſſelloch und ſchließt die Schreibklappe auf. Unmittelbar darauf zieht ſie mit ſicherem Griff eines von den vielen Schieblädchen des Innern ganz heraus, guckt in die leere Oeffnung und 16*

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/253>, abgerufen am 25.11.2024.