Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

rührung, kurz sie beglückte mich mit jenen kleinen Zeichen,
mit welchen Liebende anfangen, sich an den Gedanken
eines dereinstigen Beisammenseins zu gewöhnen. Dann
aber blieb sie wieder Tage lang in sich gekehrt und lebte
sichtlich mit düsteren Sinnen in der Ferne. Mein eigener
Zustand schwankte daher fortwährend zwischen Hell und
Dunkel hin und her, so daß ich ungeduldig das Ende
herbeiwünschte. Allerdings stand es auch einem jungen
Dragoner, der seit Jahr und Tag den Säbel in der Faust
führte und über manche Blutlache hinweggesetzt hatte, nicht
sonderlich gut an, um ein Frauenzimmer herum zu schmach¬
ten, das doch nicht dicker war, als ein Spinnrocken, wenn
auch noch so hübsch gedreht.

Als ich eines schönen Nachmittags auf den Landsitz
hinausritt und eben in der langen Ulmenallee in un¬
williger Gemüthsbewegung das Pferd in eine unruhige
und heftige Gangart versetzt hatte, ohne dessen bewußt zu
sein, eilte mir aus dem Hause ein fröhliches Menschen¬
paar entgegen: Hildeburg, welche einen preußischen In¬
fanterieofficier, oder mein Freund Mannelin, der das
Fräulein Hildeburg an der Hand führte; ich konnte in
der Ueberraschung nicht erkennen, welches von beiden der
Fall war. Meine erste Empfindung war die Freude über
das unverhoffte Wiedersehen, die zweite ein Gefühl der
Zufriedenheit über die Herstellung des früheren Zustandes
zwischen den drei Personen, womit wenigstens für den
Augenblick der quälende Zweifel beseitigt wurde. Auch

rührung, kurz ſie beglückte mich mit jenen kleinen Zeichen,
mit welchen Liebende anfangen, ſich an den Gedanken
eines dereinſtigen Beiſammenſeins zu gewöhnen. Dann
aber blieb ſie wieder Tage lang in ſich gekehrt und lebte
ſichtlich mit düſteren Sinnen in der Ferne. Mein eigener
Zuſtand ſchwankte daher fortwährend zwiſchen Hell und
Dunkel hin und her, ſo daß ich ungeduldig das Ende
herbeiwünſchte. Allerdings ſtand es auch einem jungen
Dragoner, der ſeit Jahr und Tag den Säbel in der Fauſt
führte und über manche Blutlache hinweggeſetzt hatte, nicht
ſonderlich gut an, um ein Frauenzimmer herum zu ſchmach¬
ten, das doch nicht dicker war, als ein Spinnrocken, wenn
auch noch ſo hübſch gedreht.

Als ich eines ſchönen Nachmittags auf den Landſitz
hinausritt und eben in der langen Ulmenallee in un¬
williger Gemüthsbewegung das Pferd in eine unruhige
und heftige Gangart verſetzt hatte, ohne deſſen bewußt zu
ſein, eilte mir aus dem Hauſe ein fröhliches Menſchen¬
paar entgegen: Hildeburg, welche einen preußiſchen In¬
fanterieofficier, oder mein Freund Mannelin, der das
Fräulein Hildeburg an der Hand führte; ich konnte in
der Ueberraſchung nicht erkennen, welches von beiden der
Fall war. Meine erſte Empfindung war die Freude über
das unverhoffte Wiederſehen, die zweite ein Gefühl der
Zufriedenheit über die Herſtellung des früheren Zuſtandes
zwiſchen den drei Perſonen, womit wenigſtens für den
Augenblick der quälende Zweifel beſeitigt wurde. Auch

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0245" n="235"/>
rührung, kurz &#x017F;ie beglückte mich mit jenen kleinen Zeichen,<lb/>
mit welchen Liebende anfangen, &#x017F;ich an den Gedanken<lb/>
eines derein&#x017F;tigen Bei&#x017F;ammen&#x017F;eins zu gewöhnen. Dann<lb/>
aber blieb &#x017F;ie wieder Tage lang in &#x017F;ich gekehrt und lebte<lb/>
&#x017F;ichtlich mit dü&#x017F;teren Sinnen in der Ferne. Mein eigener<lb/>
Zu&#x017F;tand &#x017F;chwankte daher fortwährend zwi&#x017F;chen Hell und<lb/>
Dunkel hin und her, &#x017F;o daß ich ungeduldig das Ende<lb/>
herbeiwün&#x017F;chte. Allerdings &#x017F;tand es auch einem jungen<lb/>
Dragoner, der &#x017F;eit Jahr und Tag den Säbel in der Fau&#x017F;t<lb/>
führte und über manche Blutlache hinwegge&#x017F;etzt hatte, nicht<lb/>
&#x017F;onderlich gut an, um ein Frauenzimmer herum zu &#x017F;chmach¬<lb/>
ten, das doch nicht dicker war, als ein Spinnrocken, wenn<lb/>
auch noch &#x017F;o hüb&#x017F;ch gedreht.</p><lb/>
          <p>Als ich eines &#x017F;chönen Nachmittags auf den Land&#x017F;itz<lb/>
hinausritt und eben in der langen Ulmenallee in un¬<lb/>
williger Gemüthsbewegung das Pferd in eine unruhige<lb/>
und heftige Gangart ver&#x017F;etzt hatte, ohne de&#x017F;&#x017F;en bewußt zu<lb/>
&#x017F;ein, eilte mir aus dem Hau&#x017F;e ein fröhliches Men&#x017F;chen¬<lb/>
paar entgegen: Hildeburg, welche einen preußi&#x017F;chen In¬<lb/>
fanterieofficier, oder mein Freund Mannelin, der das<lb/>
Fräulein Hildeburg an der Hand führte; ich konnte in<lb/>
der Ueberra&#x017F;chung nicht erkennen, welches von beiden der<lb/>
Fall war. Meine er&#x017F;te Empfindung war die Freude über<lb/>
das unverhoffte Wieder&#x017F;ehen, die zweite ein Gefühl der<lb/>
Zufriedenheit über die Her&#x017F;tellung des früheren Zu&#x017F;tandes<lb/>
zwi&#x017F;chen den drei Per&#x017F;onen, womit wenig&#x017F;tens für den<lb/>
Augenblick der quälende Zweifel be&#x017F;eitigt wurde. Auch<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0245] rührung, kurz ſie beglückte mich mit jenen kleinen Zeichen, mit welchen Liebende anfangen, ſich an den Gedanken eines dereinſtigen Beiſammenſeins zu gewöhnen. Dann aber blieb ſie wieder Tage lang in ſich gekehrt und lebte ſichtlich mit düſteren Sinnen in der Ferne. Mein eigener Zuſtand ſchwankte daher fortwährend zwiſchen Hell und Dunkel hin und her, ſo daß ich ungeduldig das Ende herbeiwünſchte. Allerdings ſtand es auch einem jungen Dragoner, der ſeit Jahr und Tag den Säbel in der Fauſt führte und über manche Blutlache hinweggeſetzt hatte, nicht ſonderlich gut an, um ein Frauenzimmer herum zu ſchmach¬ ten, das doch nicht dicker war, als ein Spinnrocken, wenn auch noch ſo hübſch gedreht. Als ich eines ſchönen Nachmittags auf den Landſitz hinausritt und eben in der langen Ulmenallee in un¬ williger Gemüthsbewegung das Pferd in eine unruhige und heftige Gangart verſetzt hatte, ohne deſſen bewußt zu ſein, eilte mir aus dem Hauſe ein fröhliches Menſchen¬ paar entgegen: Hildeburg, welche einen preußiſchen In¬ fanterieofficier, oder mein Freund Mannelin, der das Fräulein Hildeburg an der Hand führte; ich konnte in der Ueberraſchung nicht erkennen, welches von beiden der Fall war. Meine erſte Empfindung war die Freude über das unverhoffte Wiederſehen, die zweite ein Gefühl der Zufriedenheit über die Herſtellung des früheren Zuſtandes zwiſchen den drei Perſonen, womit wenigſtens für den Augenblick der quälende Zweifel beſeitigt wurde. Auch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/245
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/245>, abgerufen am 24.11.2024.