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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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Das hinderte indessen nicht, daß wir Beide uns in sie
verliebten und es einander leicht anmerkten. Doch blieben
wir dabei nicht nur friedlicher Gesinnung, sondern die
gemeinsame Verehrung diente sogar dazu, unsere Freund¬
schaft zu befestigen und den Verkehr angenehm zu beleben,
weil ja ohnehin von ernsthaften Folgen für uns noch
Jahrelang nicht die Rede sein konnte, auch Hildeburg uns
so vollkommen unparteiisch behandelte, daß Keiner vor dem
Andern aufgemuntert oder gereizt wurde. Wie Mannelin
im Innersten dachte, wußte ich freilich nicht; ich dagegen
kann nicht leugnen, daß ich mich heimlich für prädestinirt
hielt, weil die Schöne eben so stark brünett war, wie ich
selber, Mannelin hingegen der blonden Menschenart ange¬
hörte. In der That waren ihre wagerechten Augenbrauen
so sammetdunkel, wie der heraldische schwarze Zobel auf den
alten Wappenschilden, und über der Stirne hing die krause
Nacht eines Tituskopfes -- na, ich will keine Beschreibung
zum Besten geben, nur anmerken will ich noch, daß an fest¬
lichen Tagen ein paar kleine Brillantsterne aus der nächt¬
lichen Wildniß funkelten wie Leuchtwürmchen. Und dennoch
fiel der Blick, der von dem Schimmer angezogen wurde,
sogleich hinunter in den warmen Glanz der dunkeln Augen,
die meistens gütig ihn empfingen. Aber trau, schau wem!

Doch ein heißeres Feuer entflammte sich, in welchem
die Stadt Moskau aufging und das dem Napoleon die
Stiefelsohlen verbrannte. Es dauerte nicht lange, so hieß
es bei der studierenden Jugend überall: heimgereist! Mir

Das hinderte indeſſen nicht, daß wir Beide uns in ſie
verliebten und es einander leicht anmerkten. Doch blieben
wir dabei nicht nur friedlicher Geſinnung, ſondern die
gemeinſame Verehrung diente ſogar dazu, unſere Freund¬
ſchaft zu befeſtigen und den Verkehr angenehm zu beleben,
weil ja ohnehin von ernſthaften Folgen für uns noch
Jahrelang nicht die Rede ſein konnte, auch Hildeburg uns
ſo vollkommen unparteiiſch behandelte, daß Keiner vor dem
Andern aufgemuntert oder gereizt wurde. Wie Mannelin
im Innerſten dachte, wußte ich freilich nicht; ich dagegen
kann nicht leugnen, daß ich mich heimlich für prädeſtinirt
hielt, weil die Schöne eben ſo ſtark brünett war, wie ich
ſelber, Mannelin hingegen der blonden Menſchenart ange¬
hörte. In der That waren ihre wagerechten Augenbrauen
ſo ſammetdunkel, wie der heraldiſche ſchwarze Zobel auf den
alten Wappenſchilden, und über der Stirne hing die krauſe
Nacht eines Tituskopfes — na, ich will keine Beſchreibung
zum Beſten geben, nur anmerken will ich noch, daß an feſt¬
lichen Tagen ein paar kleine Brillantſterne aus der nächt¬
lichen Wildniß funkelten wie Leuchtwürmchen. Und dennoch
fiel der Blick, der von dem Schimmer angezogen wurde,
ſogleich hinunter in den warmen Glanz der dunkeln Augen,
die meiſtens gütig ihn empfingen. Aber trau, ſchau wem!

Doch ein heißeres Feuer entflammte ſich, in welchem
die Stadt Moskau aufging und das dem Napoleon die
Stiefelſohlen verbrannte. Es dauerte nicht lange, ſo hieß
es bei der ſtudierenden Jugend überall: heimgereiſt! Mir

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[224/0234] Das hinderte indeſſen nicht, daß wir Beide uns in ſie verliebten und es einander leicht anmerkten. Doch blieben wir dabei nicht nur friedlicher Geſinnung, ſondern die gemeinſame Verehrung diente ſogar dazu, unſere Freund¬ ſchaft zu befeſtigen und den Verkehr angenehm zu beleben, weil ja ohnehin von ernſthaften Folgen für uns noch Jahrelang nicht die Rede ſein konnte, auch Hildeburg uns ſo vollkommen unparteiiſch behandelte, daß Keiner vor dem Andern aufgemuntert oder gereizt wurde. Wie Mannelin im Innerſten dachte, wußte ich freilich nicht; ich dagegen kann nicht leugnen, daß ich mich heimlich für prädeſtinirt hielt, weil die Schöne eben ſo ſtark brünett war, wie ich ſelber, Mannelin hingegen der blonden Menſchenart ange¬ hörte. In der That waren ihre wagerechten Augenbrauen ſo ſammetdunkel, wie der heraldiſche ſchwarze Zobel auf den alten Wappenſchilden, und über der Stirne hing die krauſe Nacht eines Tituskopfes — na, ich will keine Beſchreibung zum Beſten geben, nur anmerken will ich noch, daß an feſt¬ lichen Tagen ein paar kleine Brillantſterne aus der nächt¬ lichen Wildniß funkelten wie Leuchtwürmchen. Und dennoch fiel der Blick, der von dem Schimmer angezogen wurde, ſogleich hinunter in den warmen Glanz der dunkeln Augen, die meiſtens gütig ihn empfingen. Aber trau, ſchau wem! Doch ein heißeres Feuer entflammte ſich, in welchem die Stadt Moskau aufging und das dem Napoleon die Stiefelſohlen verbrannte. Es dauerte nicht lange, ſo hieß es bei der ſtudierenden Jugend überall: heimgereiſt! Mir

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 224. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/234>, abgerufen am 22.11.2024.