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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Denn Alles war eine abgekartete Komödie gewesen.
Mein Vermögen wurde mir aus den Händen gespielt, ich
wußte nicht wie, und angeblich in einer hauptstädtischen
Bank sicher angelegt. Die Brüder verschwanden wieder,
nachdem sie den Lohn ihres Seelenverkaufs mochten
empfangen und sich vorbehalten haben, an dem Raube
ferner Theil zu nehmen. Drei Jahre brachte ich nun
unter Mißhandlungen und Demüthigungen zu. Die
Brüder habe ich nicht mehr gesehen. Mein Mann war
häufig oder eigentlich meistens abwesend, bis er eines
Tages mit einer ganzen Gesellschaft halb betrunkener
Männer zu Pferde und zu Wagen auf dem Hofe ankam
und mir befahl, eine gute Bewirthung zuzurüsten. Ich
that was ich vermochte, während die Männer auf das
Pistolenschießen geriethen. Ich hatte ein krankes Kind
in der Wiege liegen, welches ich einen Augenblick zu sehen
ging; es war nach langem Wimmern ein wenig ein¬
geschlafen. Da kam Schwendtner mit der Pistole in der
Hand und verlangte, ich sollte "seinen Jungen" der Ge¬
sellschaft vorweisen. Ich machte ihn auf den Schlaf des
armen Kindes aufmerksam. Er aber rief: Ich will dir
zeigen, wie man ein Soldatenkind munter macht! und
schoß die Pistole über dem Gesichtchen los, daß die Kugel
dicht daneben in die Wand fuhr. Es schreckte erbärmlich
auf und verfiel in tödtliche Krämpfe; es war auch in drei
Tagen dahin. An jenem Tage aber zwang mich der Un¬
hold, beim Essen mit zu Tisch zu sitzen. Um Ruhe zu

„Denn Alles war eine abgekartete Komödie geweſen.
Mein Vermögen wurde mir aus den Händen geſpielt, ich
wußte nicht wie, und angeblich in einer hauptſtädtiſchen
Bank ſicher angelegt. Die Brüder verſchwanden wieder,
nachdem ſie den Lohn ihres Seelenverkaufs mochten
empfangen und ſich vorbehalten haben, an dem Raube
ferner Theil zu nehmen. Drei Jahre brachte ich nun
unter Mißhandlungen und Demüthigungen zu. Die
Brüder habe ich nicht mehr geſehen. Mein Mann war
häufig oder eigentlich meiſtens abweſend, bis er eines
Tages mit einer ganzen Geſellſchaft halb betrunkener
Männer zu Pferde und zu Wagen auf dem Hofe ankam
und mir befahl, eine gute Bewirthung zuzurüſten. Ich
that was ich vermochte, während die Männer auf das
Piſtolenſchießen geriethen. Ich hatte ein krankes Kind
in der Wiege liegen, welches ich einen Augenblick zu ſehen
ging; es war nach langem Wimmern ein wenig ein¬
geſchlafen. Da kam Schwendtner mit der Piſtole in der
Hand und verlangte, ich ſollte „ſeinen Jungen“ der Ge¬
ſellſchaft vorweiſen. Ich machte ihn auf den Schlaf des
armen Kindes aufmerkſam. Er aber rief: Ich will dir
zeigen, wie man ein Soldatenkind munter macht! und
ſchoß die Piſtole über dem Geſichtchen los, daß die Kugel
dicht daneben in die Wand fuhr. Es ſchreckte erbärmlich
auf und verfiel in tödtliche Krämpfe; es war auch in drei
Tagen dahin. An jenem Tage aber zwang mich der Un¬
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[196/0206] „Denn Alles war eine abgekartete Komödie geweſen. Mein Vermögen wurde mir aus den Händen geſpielt, ich wußte nicht wie, und angeblich in einer hauptſtädtiſchen Bank ſicher angelegt. Die Brüder verſchwanden wieder, nachdem ſie den Lohn ihres Seelenverkaufs mochten empfangen und ſich vorbehalten haben, an dem Raube ferner Theil zu nehmen. Drei Jahre brachte ich nun unter Mißhandlungen und Demüthigungen zu. Die Brüder habe ich nicht mehr geſehen. Mein Mann war häufig oder eigentlich meiſtens abweſend, bis er eines Tages mit einer ganzen Geſellſchaft halb betrunkener Männer zu Pferde und zu Wagen auf dem Hofe ankam und mir befahl, eine gute Bewirthung zuzurüſten. Ich that was ich vermochte, während die Männer auf das Piſtolenſchießen geriethen. Ich hatte ein krankes Kind in der Wiege liegen, welches ich einen Augenblick zu ſehen ging; es war nach langem Wimmern ein wenig ein¬ geſchlafen. Da kam Schwendtner mit der Piſtole in der Hand und verlangte, ich ſollte „ſeinen Jungen“ der Ge¬ ſellſchaft vorweiſen. Ich machte ihn auf den Schlaf des armen Kindes aufmerkſam. Er aber rief: Ich will dir zeigen, wie man ein Soldatenkind munter macht! und ſchoß die Piſtole über dem Geſichtchen los, daß die Kugel dicht daneben in die Wand fuhr. Es ſchreckte erbärmlich auf und verfiel in tödtliche Krämpfe; es war auch in drei Tagen dahin. An jenem Tage aber zwang mich der Un¬ hold, beim Eſſen mit zu Tiſch zu ſitzen. Um Ruhe zu

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/206>, abgerufen am 24.11.2024.