der Großvater bequemlich aufbrauchte, bis der Sohn erwachsen und heirathsfähig war. Diesem verschaffte sie dann im Drange der Selbsterhaltung eine reiche Erbin aus ihrer Freundschaft, von welcher man wußte, daß ihr im Verlaufe der Zeit noch mehr als ein Vermögen zu¬ fallen würde, so daß es nach menschlicher Voraussicht endlich etwas hätte klecken sollen. Diese starb aber noch in jungen Jahren, nachdem sie zwei Knaben zur Welt geboren hatte, und weil nun möglicher Weise zwei Nichts¬ thuer mehr dem Hause heranwuchsen, ruhte jene nicht bis sie dem Sohne, meinem Vater, eine zweite Erbin herbei¬ locken konnte, von der ich sodann das Dasein empfing. Allein ich erlebte noch, wie die Großmutter, ehe sie starb, ihre Sorge verfluchte, mit der sie die zwei jungen Weiber in's Unglück gebracht.
"Der Vater verschwendete das Geld auf immer¬ währenden Reisen, da es ihm nie wohl zu Hause war. Mit den zunehmenden Jahren fing eine andere Thorheit an, ihn zu besitzen, indem er sich an falsche Frauen hing, denen er Geld und Geldeswerth zuwendete, was er auf¬ bringen konnte. Sogar Korn und Wein, Holz und Torf ließ er vom Hofe weg und jenen zuführen, die Alles nahmen, was sie erwischen konnten. Die heranwachsenden Söhne verachteten ihn darum, thaten es ihm aber nach und bestahlen das Haus, wo sie konnten, um sich Taschen¬ geld zu machen. Niemand vermochte sie zu zwingen, etwas zu lernen, und als sie das Alter erreichten, wußten
Keller, Sinngedicht. 13
der Großvater bequemlich aufbrauchte, bis der Sohn erwachſen und heirathsfähig war. Dieſem verſchaffte ſie dann im Drange der Selbſterhaltung eine reiche Erbin aus ihrer Freundſchaft, von welcher man wußte, daß ihr im Verlaufe der Zeit noch mehr als ein Vermögen zu¬ fallen würde, ſo daß es nach menſchlicher Vorausſicht endlich etwas hätte klecken ſollen. Dieſe ſtarb aber noch in jungen Jahren, nachdem ſie zwei Knaben zur Welt geboren hatte, und weil nun möglicher Weiſe zwei Nichts¬ thuer mehr dem Hauſe heranwuchſen, ruhte jene nicht bis ſie dem Sohne, meinem Vater, eine zweite Erbin herbei¬ locken konnte, von der ich ſodann das Daſein empfing. Allein ich erlebte noch, wie die Großmutter, ehe ſie ſtarb, ihre Sorge verfluchte, mit der ſie die zwei jungen Weiber in's Unglück gebracht.
„Der Vater verſchwendete das Geld auf immer¬ währenden Reiſen, da es ihm nie wohl zu Hauſe war. Mit den zunehmenden Jahren fing eine andere Thorheit an, ihn zu beſitzen, indem er ſich an falſche Frauen hing, denen er Geld und Geldeswerth zuwendete, was er auf¬ bringen konnte. Sogar Korn und Wein, Holz und Torf ließ er vom Hofe weg und jenen zuführen, die Alles nahmen, was ſie erwiſchen konnten. Die heranwachſenden Söhne verachteten ihn darum, thaten es ihm aber nach und beſtahlen das Haus, wo ſie konnten, um ſich Taſchen¬ geld zu machen. Niemand vermochte ſie zu zwingen, etwas zu lernen, und als ſie das Alter erreichten, wußten
Keller, Sinngedicht. 13
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der Großvater bequemlich aufbrauchte, bis der Sohn
erwachſen und heirathsfähig war. Dieſem verſchaffte ſie
dann im Drange der Selbſterhaltung eine reiche Erbin
aus ihrer Freundſchaft, von welcher man wußte, daß ihr
im Verlaufe der Zeit noch mehr als ein Vermögen zu¬
fallen würde, ſo daß es nach menſchlicher Vorausſicht
endlich etwas hätte klecken ſollen. Dieſe ſtarb aber noch
in jungen Jahren, nachdem ſie zwei Knaben zur Welt
geboren hatte, und weil nun möglicher Weiſe zwei Nichts¬
thuer mehr dem Hauſe heranwuchſen, ruhte jene nicht bis
ſie dem Sohne, meinem Vater, eine zweite Erbin herbei¬
locken konnte, von der ich ſodann das Daſein empfing.
Allein ich erlebte noch, wie die Großmutter, ehe ſie ſtarb,
ihre Sorge verfluchte, mit der ſie die zwei jungen Weiber
in's Unglück gebracht.
„Der Vater verſchwendete das Geld auf immer¬
währenden Reiſen, da es ihm nie wohl zu Hauſe war.
Mit den zunehmenden Jahren fing eine andere Thorheit
an, ihn zu beſitzen, indem er ſich an falſche Frauen hing,
denen er Geld und Geldeswerth zuwendete, was er auf¬
bringen konnte. Sogar Korn und Wein, Holz und Torf
ließ er vom Hofe weg und jenen zuführen, die Alles
nahmen, was ſie erwiſchen konnten. Die heranwachſenden
Söhne verachteten ihn darum, thaten es ihm aber nach
und beſtahlen das Haus, wo ſie konnten, um ſich Taſchen¬
geld zu machen. Niemand vermochte ſie zu zwingen,
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 193. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/203>, abgerufen am 22.11.2024.
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