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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882.

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"Das seh'n wir wohl!" sagte ich mit einem Seufzer,
"aber es war doch eine schönere Zeit!"

Sobald nun die Wagen den ersten Halt machten, stieg,
um ein stattliches Masculinum zu gebrauchen, der Unhold
aus und mischte sich unter die Gesellschaft, ohne mich
weiter anzusehen. Damit war es freilich noch nicht gethan.
Eben als Frau Regine sich freute, von der Malerin erlöst
zu sein, gegen die sie einen unerklärlichen Widerwillen
empfinde, kamen die Parzen herbei und stellten den für
heute ihr bestimmten Cavalier vor, einen jungen Herren
von der brasilianischen Gesandtschaft mit einem langen,
aus vielen Wörtchen bestehenden Grafentitel, er selbst
lang und schlank, wie ein alter Ritterspeer, pechschwarz
und blaß, mit der schönsten graden Nase und glühenden
Augen. Er war die neueste Schwärmerei der drei Parzen,
und weil er gewünscht hatte, mit der schönen Regine
bekannt zu werden, brachten sie ihn unverzüglich mit ihr
zusammen, womit sie zu erreichen hofften, daß beide inter¬
essante Erscheinungen zugleich in ihrer Umgebung gesehen
würden.

Als Wirth des Wagens mußte ich dem Herrn natür¬
lich den guten Sitz neben meiner Dame einräumen, die
eigentlich nun seine Dame wurde. Er benahm sich übrigens
durchaus artig und ernst, ja nur zu ernsthaft nach meiner
Meinung, da dies auf weitgehende verwegene Absichten
deuten konnte. Regine war still, so viel an ihr lag; sie
beantwortete aber seine Anreden mit freiem Anstande,

„Das ſeh'n wir wohl!“ ſagte ich mit einem Seufzer,
„aber es war doch eine ſchönere Zeit!“

Sobald nun die Wagen den erſten Halt machten, ſtieg,
um ein ſtattliches Masculinum zu gebrauchen, der Unhold
aus und miſchte ſich unter die Geſellſchaft, ohne mich
weiter anzuſehen. Damit war es freilich noch nicht gethan.
Eben als Frau Regine ſich freute, von der Malerin erlöſt
zu ſein, gegen die ſie einen unerklärlichen Widerwillen
empfinde, kamen die Parzen herbei und ſtellten den für
heute ihr beſtimmten Cavalier vor, einen jungen Herren
von der braſilianiſchen Geſandtſchaft mit einem langen,
aus vielen Wörtchen beſtehenden Grafentitel, er ſelbſt
lang und ſchlank, wie ein alter Ritterſpeer, pechſchwarz
und blaß, mit der ſchönſten graden Naſe und glühenden
Augen. Er war die neueſte Schwärmerei der drei Parzen,
und weil er gewünſcht hatte, mit der ſchönen Regine
bekannt zu werden, brachten ſie ihn unverzüglich mit ihr
zuſammen, womit ſie zu erreichen hofften, daß beide inter¬
eſſante Erſcheinungen zugleich in ihrer Umgebung geſehen
würden.

Als Wirth des Wagens mußte ich dem Herrn natür¬
lich den guten Sitz neben meiner Dame einräumen, die
eigentlich nun ſeine Dame wurde. Er benahm ſich übrigens
durchaus artig und ernſt, ja nur zu ernſthaft nach meiner
Meinung, da dies auf weitgehende verwegene Abſichten
deuten konnte. Regine war ſtill, ſo viel an ihr lag; ſie
beantwortete aber ſeine Anreden mit freiem Anſtande,

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[114/0124] „Das ſeh'n wir wohl!“ ſagte ich mit einem Seufzer, „aber es war doch eine ſchönere Zeit!“ Sobald nun die Wagen den erſten Halt machten, ſtieg, um ein ſtattliches Masculinum zu gebrauchen, der Unhold aus und miſchte ſich unter die Geſellſchaft, ohne mich weiter anzuſehen. Damit war es freilich noch nicht gethan. Eben als Frau Regine ſich freute, von der Malerin erlöſt zu ſein, gegen die ſie einen unerklärlichen Widerwillen empfinde, kamen die Parzen herbei und ſtellten den für heute ihr beſtimmten Cavalier vor, einen jungen Herren von der braſilianiſchen Geſandtſchaft mit einem langen, aus vielen Wörtchen beſtehenden Grafentitel, er ſelbſt lang und ſchlank, wie ein alter Ritterſpeer, pechſchwarz und blaß, mit der ſchönſten graden Naſe und glühenden Augen. Er war die neueſte Schwärmerei der drei Parzen, und weil er gewünſcht hatte, mit der ſchönen Regine bekannt zu werden, brachten ſie ihn unverzüglich mit ihr zuſammen, womit ſie zu erreichen hofften, daß beide inter¬ eſſante Erſcheinungen zugleich in ihrer Umgebung geſehen würden. Als Wirth des Wagens mußte ich dem Herrn natür¬ lich den guten Sitz neben meiner Dame einräumen, die eigentlich nun ſeine Dame wurde. Er benahm ſich übrigens durchaus artig und ernſt, ja nur zu ernſthaft nach meiner Meinung, da dies auf weitgehende verwegene Abſichten deuten konnte. Regine war ſtill, ſo viel an ihr lag; ſie beantwortete aber ſeine Anreden mit freiem Anſtande,

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/124>, abgerufen am 09.11.2024.