Stande, Berufe und Lebensgebiete die Frau bezeichnet und damit dem Begriffe noch einen eigenen poetischen Hauch und Schimmer verleihen kann, war ihr zuwider wie Gift und sie hätte die verhaßten zwei Buchstaben am liebsten ganz ausgereutet. War man dagegen gezwungen, den männlichen Artikel der und ein mit ihrem Berufs¬ namen zu verbinden, so tönte ihr das wie Musik in die Ohren. Sie trug stets ein schäbiges Filzhütchen auf dem Kopfe und ließ das Kleid so einrichten, daß sie ihre Hände zu beiden Seiten in die Taschen stecken konnte, wie ein Gassenjunge. Diese Art Verirrung mahnt mich immer an die mittelalterliche Sage vom Kaiser Nero. Die wirklich verübten Tollheiten desselben fand sie nicht abscheulich und verrückt genug, und um das denkbar Schmählichste hinzuzufügen, ersann sie die Geschichte von seinem Gelüste nach der Geschlechtsänderung. Er habe wollen guter Hoffnung werden und ein Kind gebären und zweiundsiebenzig Aerzten bei Todesstrafe befohlen, ihm dazu zu verhelfen. Die hätten keinen andern Ausweg gewußt, als dem Scheusal einen Zaubertrank zu brauen. Weil aber der Teufel nichts Wirkliches, sondern nur Blendwerke schaffen könne, so sei Nero allerdings schwanger geworden, zu seiner großen Zufriedenheit, und habe aber dann eine dicke Kröte aus dem Munde zu Tage gefördert. Auch für das Thierlein sei er dankbar gewesen und habe sich voll Eitelkeit Domina und Mutter nennen lassen. Dann habe er ein großes Freudenlager errichtet, um das
Stande, Berufe und Lebensgebiete die Frau bezeichnet und damit dem Begriffe noch einen eigenen poetiſchen Hauch und Schimmer verleihen kann, war ihr zuwider wie Gift und ſie hätte die verhaßten zwei Buchſtaben am liebſten ganz ausgereutet. War man dagegen gezwungen, den männlichen Artikel der und ein mit ihrem Berufs¬ namen zu verbinden, ſo tönte ihr das wie Muſik in die Ohren. Sie trug ſtets ein ſchäbiges Filzhütchen auf dem Kopfe und ließ das Kleid ſo einrichten, daß ſie ihre Hände zu beiden Seiten in die Taſchen ſtecken konnte, wie ein Gaſſenjunge. Dieſe Art Verirrung mahnt mich immer an die mittelalterliche Sage vom Kaiſer Nero. Die wirklich verübten Tollheiten deſſelben fand ſie nicht abſcheulich und verrückt genug, und um das denkbar Schmählichſte hinzuzufügen, erſann ſie die Geſchichte von ſeinem Gelüſte nach der Geſchlechtsänderung. Er habe wollen guter Hoffnung werden und ein Kind gebären und zweiundſiebenzig Aerzten bei Todesſtrafe befohlen, ihm dazu zu verhelfen. Die hätten keinen andern Ausweg gewußt, als dem Scheuſal einen Zaubertrank zu brauen. Weil aber der Teufel nichts Wirkliches, ſondern nur Blendwerke ſchaffen könne, ſo ſei Nero allerdings ſchwanger geworden, zu ſeiner großen Zufriedenheit, und habe aber dann eine dicke Kröte aus dem Munde zu Tage gefördert. Auch für das Thierlein ſei er dankbar geweſen und habe ſich voll Eitelkeit Domina und Mutter nennen laſſen. Dann habe er ein großes Freudenlager errichtet, um das
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Stande, Berufe und Lebensgebiete die Frau bezeichnet
und damit dem Begriffe noch einen eigenen poetiſchen
Hauch und Schimmer verleihen kann, war ihr zuwider
wie Gift und ſie hätte die verhaßten zwei Buchſtaben am
liebſten ganz ausgereutet. War man dagegen gezwungen,
den männlichen Artikel der und ein mit ihrem Berufs¬
namen zu verbinden, ſo tönte ihr das wie Muſik in die
Ohren. Sie trug ſtets ein ſchäbiges Filzhütchen auf dem
Kopfe und ließ das Kleid ſo einrichten, daß ſie ihre
Hände zu beiden Seiten in die Taſchen ſtecken konnte, wie
ein Gaſſenjunge. Dieſe Art Verirrung mahnt mich
immer an die mittelalterliche Sage vom Kaiſer Nero.
Die wirklich verübten Tollheiten deſſelben fand ſie nicht
abſcheulich und verrückt genug, und um das denkbar
Schmählichſte hinzuzufügen, erſann ſie die Geſchichte von
ſeinem Gelüſte nach der Geſchlechtsänderung. Er habe
wollen guter Hoffnung werden und ein Kind gebären und
zweiundſiebenzig Aerzten bei Todesſtrafe befohlen, ihm
dazu zu verhelfen. Die hätten keinen andern Ausweg
gewußt, als dem Scheuſal einen Zaubertrank zu brauen.
Weil aber der Teufel nichts Wirkliches, ſondern nur
Blendwerke ſchaffen könne, ſo ſei Nero allerdings ſchwanger
geworden, zu ſeiner großen Zufriedenheit, und habe aber
dann eine dicke Kröte aus dem Munde zu Tage gefördert.
Auch für das Thierlein ſei er dankbar geweſen und habe
ſich voll Eitelkeit Domina und Mutter nennen laſſen.
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Keller, Gottfried: Das Sinngedicht. Berlin, 1882, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_sinngedicht_1882/115>, abgerufen am 24.11.2024.
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