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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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schamhaft geberden wie sie wollte, immer da
oder dort der schneeweiße Leib ein Bischen durch¬
schimmerte. Pineiß riß die Augen auf und
konnte vor heftigem Entzücken kaum seine Be¬
werbung vorbringen. Da trocknete die Schöne
ihre Thränen, gab ihm mit süßem Lächeln die
Hand, dankte ihm mit einer himmlischen Glok¬
kenstimme für seine Großmuth und schwur, ihm
ewig treu zu sein. Aber im selben Augenblicke
erfüllte ihn eine solche Eifersucht und Neides¬
wuth auf seine Braut, daß er beschloß, sie vor
keinem menschlichen Auge jemals sehen zu lassen.
Er ließ sich bei einem uralten Einsiedler mit
ihr trauen und feierte das Hochzeitmahl in seinem
Hause, ohne andere Gäste, als Spiegel und die
Eule, welche ersterer mitzubringen sich die Er¬
laubniß erbeten hatte. Die zehntausend Gold¬
gulden standen in einer Schüssel auf dem Tisch
und Pineiß griff zuweilen hinein und wühlte in
dem Golde; dann sah er wieder die schöne Frau
an, welche in einem meerblauen Sammetkleide
dasaß, das Haar mit einem goldenen Netze um¬
flochten und mit Blumen geschmückt, und den
weißen Hals mit Perlen umgeben. Er wollte

ſchamhaft geberden wie ſie wollte, immer da
oder dort der ſchneeweiße Leib ein Bischen durch¬
ſchimmerte. Pineiß riß die Augen auf und
konnte vor heftigem Entzücken kaum ſeine Be¬
werbung vorbringen. Da trocknete die Schöne
ihre Thränen, gab ihm mit ſüßem Lächeln die
Hand, dankte ihm mit einer himmliſchen Glok¬
kenſtimme für ſeine Großmuth und ſchwur, ihm
ewig treu zu ſein. Aber im ſelben Augenblicke
erfüllte ihn eine ſolche Eiferſucht und Neides¬
wuth auf ſeine Braut, daß er beſchloß, ſie vor
keinem menſchlichen Auge jemals ſehen zu laſſen.
Er ließ ſich bei einem uralten Einſiedler mit
ihr trauen und feierte das Hochzeitmahl in ſeinem
Hauſe, ohne andere Gäſte, als Spiegel und die
Eule, welche erſterer mitzubringen ſich die Er¬
laubniß erbeten hatte. Die zehntauſend Gold¬
gulden ſtanden in einer Schüſſel auf dem Tiſch
und Pineiß griff zuweilen hinein und wühlte in
dem Golde; dann ſah er wieder die ſchöne Frau
an, welche in einem meerblauen Sammetkleide
daſaß, das Haar mit einem goldenen Netze um¬
flochten und mit Blumen geſchmückt, und den
weißen Hals mit Perlen umgeben. Er wollte

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[521/0533] ſchamhaft geberden wie ſie wollte, immer da oder dort der ſchneeweiße Leib ein Bischen durch¬ ſchimmerte. Pineiß riß die Augen auf und konnte vor heftigem Entzücken kaum ſeine Be¬ werbung vorbringen. Da trocknete die Schöne ihre Thränen, gab ihm mit ſüßem Lächeln die Hand, dankte ihm mit einer himmliſchen Glok¬ kenſtimme für ſeine Großmuth und ſchwur, ihm ewig treu zu ſein. Aber im ſelben Augenblicke erfüllte ihn eine ſolche Eiferſucht und Neides¬ wuth auf ſeine Braut, daß er beſchloß, ſie vor keinem menſchlichen Auge jemals ſehen zu laſſen. Er ließ ſich bei einem uralten Einſiedler mit ihr trauen und feierte das Hochzeitmahl in ſeinem Hauſe, ohne andere Gäſte, als Spiegel und die Eule, welche erſterer mitzubringen ſich die Er¬ laubniß erbeten hatte. Die zehntauſend Gold¬ gulden ſtanden in einer Schüſſel auf dem Tiſch und Pineiß griff zuweilen hinein und wühlte in dem Golde; dann ſah er wieder die ſchöne Frau an, welche in einem meerblauen Sammetkleide daſaß, das Haar mit einem goldenen Netze um¬ flochten und mit Blumen geſchmückt, und den weißen Hals mit Perlen umgeben. Er wollte

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 521. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/533>, abgerufen am 30.04.2024.