will ich mich ein wenig ausruhen und trachten, daß ich durch Beschaulichkeit und gute Nahrung wieder zu vernünftigen Gedanken komme! Alles hat seine Zeit! Heute ein Bischen Leidenschaft, morgen ein wenig Besonnenheit und Ruhe, ist jedes in seiner Weise gut. Dies Gefängniß ist gar nicht so übel und es läßt sich gewiß etwas Ersprießliches darin ausdenken!" Pineiß aber nahm sich nun zusammen und bereitete alle Tage mit aller seiner Kunst solche Leckerbissen, und in solch reizender Abwechslung und Zuträg¬ lichkeit, daß der gefangene Spiegel denselben nicht widerstehen konnte; denn Pineißens Vor¬ rath an freiwilligem und rechtmäßigem Katzen¬ schmeer nahm alle Tage mehr ab und drohte nächstens ganz auszugehen, und dann war der Hexer ohne dies Hauptmittel ein geschlagener Mann. Aber der gute Hexenmeister nährte mit dem Leibe Spiegels dessen Geist immer wieder mit, und es war durchaus nicht von dieser un¬ bequemen Zuthat loszukommen, weshalb auch seine Hexerei sich hier als lückenhaft erwies.
Als Spiegel in seinem Käfig ihm endlich fett genug dünkte, säumte er nicht länger, son¬
will ich mich ein wenig ausruhen und trachten, daß ich durch Beſchaulichkeit und gute Nahrung wieder zu vernünftigen Gedanken komme! Alles hat ſeine Zeit! Heute ein Bischen Leidenſchaft, morgen ein wenig Beſonnenheit und Ruhe, iſt jedes in ſeiner Weiſe gut. Dies Gefängniß iſt gar nicht ſo übel und es läßt ſich gewiß etwas Erſprießliches darin ausdenken!« Pineiß aber nahm ſich nun zuſammen und bereitete alle Tage mit aller ſeiner Kunſt ſolche Leckerbiſſen, und in ſolch reizender Abwechslung und Zuträg¬ lichkeit, daß der gefangene Spiegel denſelben nicht widerſtehen konnte; denn Pineißens Vor¬ rath an freiwilligem und rechtmäßigem Katzen¬ ſchmeer nahm alle Tage mehr ab und drohte nächſtens ganz auszugehen, und dann war der Hexer ohne dies Hauptmittel ein geſchlagener Mann. Aber der gute Hexenmeiſter nährte mit dem Leibe Spiegels deſſen Geiſt immer wieder mit, und es war durchaus nicht von dieſer un¬ bequemen Zuthat loszukommen, weshalb auch ſeine Hexerei ſich hier als lückenhaft erwies.
Als Spiegel in ſeinem Käfig ihm endlich fett genug dünkte, ſäumte er nicht länger, ſon¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0484"n="472"/>
will ich mich ein wenig ausruhen und trachten,<lb/>
daß ich durch Beſchaulichkeit und gute Nahrung<lb/>
wieder zu vernünftigen Gedanken komme! Alles<lb/>
hat ſeine Zeit! Heute ein Bischen Leidenſchaft,<lb/>
morgen ein wenig Beſonnenheit und Ruhe, iſt<lb/>
jedes in ſeiner Weiſe gut. Dies Gefängniß<lb/>
iſt gar nicht ſo übel und es läßt ſich gewiß<lb/>
etwas Erſprießliches darin ausdenken!« Pineiß<lb/>
aber nahm ſich nun zuſammen und bereitete alle<lb/>
Tage mit aller ſeiner Kunſt ſolche Leckerbiſſen,<lb/>
und in ſolch reizender Abwechslung und Zuträg¬<lb/>
lichkeit, daß der gefangene Spiegel denſelben<lb/>
nicht widerſtehen konnte; denn Pineißens Vor¬<lb/>
rath an freiwilligem und rechtmäßigem Katzen¬<lb/>ſchmeer nahm alle Tage mehr ab und drohte<lb/>
nächſtens ganz auszugehen, und dann war der<lb/>
Hexer ohne dies Hauptmittel ein geſchlagener<lb/>
Mann. Aber der gute Hexenmeiſter nährte mit<lb/>
dem Leibe Spiegels deſſen Geiſt immer wieder<lb/>
mit, und es war durchaus nicht von dieſer un¬<lb/>
bequemen Zuthat loszukommen, weshalb auch<lb/>ſeine Hexerei ſich hier als lückenhaft erwies.</p><lb/><p>Als Spiegel in ſeinem Käfig ihm endlich<lb/>
fett genug dünkte, ſäumte er nicht länger, ſon¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[472/0484]
will ich mich ein wenig ausruhen und trachten,
daß ich durch Beſchaulichkeit und gute Nahrung
wieder zu vernünftigen Gedanken komme! Alles
hat ſeine Zeit! Heute ein Bischen Leidenſchaft,
morgen ein wenig Beſonnenheit und Ruhe, iſt
jedes in ſeiner Weiſe gut. Dies Gefängniß
iſt gar nicht ſo übel und es läßt ſich gewiß
etwas Erſprießliches darin ausdenken!« Pineiß
aber nahm ſich nun zuſammen und bereitete alle
Tage mit aller ſeiner Kunſt ſolche Leckerbiſſen,
und in ſolch reizender Abwechslung und Zuträg¬
lichkeit, daß der gefangene Spiegel denſelben
nicht widerſtehen konnte; denn Pineißens Vor¬
rath an freiwilligem und rechtmäßigem Katzen¬
ſchmeer nahm alle Tage mehr ab und drohte
nächſtens ganz auszugehen, und dann war der
Hexer ohne dies Hauptmittel ein geſchlagener
Mann. Aber der gute Hexenmeiſter nährte mit
dem Leibe Spiegels deſſen Geiſt immer wieder
mit, und es war durchaus nicht von dieſer un¬
bequemen Zuthat loszukommen, weshalb auch
ſeine Hexerei ſich hier als lückenhaft erwies.
Als Spiegel in ſeinem Käfig ihm endlich
fett genug dünkte, ſäumte er nicht länger, ſon¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/484>, abgerufen am 21.05.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.