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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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versammelte Nachbaren ohnehin diesem Stande
angehörten, sich von einer ganzen Versammlung
neugieriger und gemüthlicher Falliten umgeben
sah, wie ein alter Heros in der Unterwelt von
den herbeieilenden Schatten.

Er zündete nun seine türkische Pfeife an und
erfüllte das Zimmer mit dem fremden Wohl¬
geruch des morgenländischen Tabacks; die Schat¬
ten oder Falliten witterten immer neugieriger in
den blauen Duftwolken umher, und Estherchen
und die Mutter bestaunten unaufhörlich die Leut¬
seligkeit und Geschicklichkeit des Pankraz, mit
welcher er die Leute unterhielt, und zuletzt die
freundliche, aber sichere Gewandtheit, mit welcher
er die Versammlung endlich entließ, als es ihm
Zeit dazu schien.

Da aber die Freuden, welche auf dem Fa¬
milienglück und auf frohen Ereignissen unter
Blutsverwandten beruhen, auch nach den läng¬
sten Leiden die Betheiligten plötzlich immer jung
und munter machen, statt sie zu erschöpfen, wie
die Aufregungen der weitern Welt es thun,
so verspürte die alte Mutter noch nicht die ge¬
ringste Müdigkeit und Schlaflust, so wenig als

Keller, die Leute von Seldwyla. I. 3

verſammelte Nachbaren ohnehin dieſem Stande
angehörten, ſich von einer ganzen Verſammlung
neugieriger und gemüthlicher Falliten umgeben
ſah, wie ein alter Heros in der Unterwelt von
den herbeieilenden Schatten.

Er zündete nun ſeine türkiſche Pfeife an und
erfüllte das Zimmer mit dem fremden Wohl¬
geruch des morgenländiſchen Tabacks; die Schat¬
ten oder Falliten witterten immer neugieriger in
den blauen Duftwolken umher, und Eſtherchen
und die Mutter beſtaunten unaufhörlich die Leut¬
ſeligkeit und Geſchicklichkeit des Pankraz, mit
welcher er die Leute unterhielt, und zuletzt die
freundliche, aber ſichere Gewandtheit, mit welcher
er die Verſammlung endlich entließ, als es ihm
Zeit dazu ſchien.

Da aber die Freuden, welche auf dem Fa¬
milienglück und auf frohen Ereigniſſen unter
Blutsverwandten beruhen, auch nach den läng¬
ſten Leiden die Betheiligten plötzlich immer jung
und munter machen, ſtatt ſie zu erſchöpfen, wie
die Aufregungen der weitern Welt es thun,
ſo verſpürte die alte Mutter noch nicht die ge¬
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[33/0045] verſammelte Nachbaren ohnehin dieſem Stande angehörten, ſich von einer ganzen Verſammlung neugieriger und gemüthlicher Falliten umgeben ſah, wie ein alter Heros in der Unterwelt von den herbeieilenden Schatten. Er zündete nun ſeine türkiſche Pfeife an und erfüllte das Zimmer mit dem fremden Wohl¬ geruch des morgenländiſchen Tabacks; die Schat¬ ten oder Falliten witterten immer neugieriger in den blauen Duftwolken umher, und Eſtherchen und die Mutter beſtaunten unaufhörlich die Leut¬ ſeligkeit und Geſchicklichkeit des Pankraz, mit welcher er die Leute unterhielt, und zuletzt die freundliche, aber ſichere Gewandtheit, mit welcher er die Verſammlung endlich entließ, als es ihm Zeit dazu ſchien. Da aber die Freuden, welche auf dem Fa¬ milienglück und auf frohen Ereigniſſen unter Blutsverwandten beruhen, auch nach den läng¬ ſten Leiden die Betheiligten plötzlich immer jung und munter machen, ſtatt ſie zu erſchöpfen, wie die Aufregungen der weitern Welt es thun, ſo verſpürte die alte Mutter noch nicht die ge¬ ringſte Müdigkeit und Schlafluſt, ſo wenig als Keller, die Leute von Seldwyla. I. 3

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/45>, abgerufen am 27.11.2024.