unterbrachen sie ihr Lamentiren und rannten ihm nach, und die verzweifelte Szene war alsobald in die Wohnung der erschrockenen Jungfrau ver¬ legt.
Diese war sehr betroffen und bewegt durch das unerwartete Abenteuer; doch faßte sie sich zuerst, und die Lage der Dinge überschauend, beschloß sie, ihr eigenes Schicksal an des Mei¬ sters wunderlichen Einfall zu knüpfen und be¬ trachtete diesen als eine höhere Eingebung; sie holte gerührt ein Schätzkästlein hervor und stach mit einer Nadel zwischen die Blätter, und der Spruch, welchen sie aufschlug, handelte vom un¬ entwegten Verfolgen eines guten Zieles. Dar¬ auf ließ sie die aufgeregten Gesellen aufschlagen, und alles, was diese aufschlugen, handelte vom eifrigen Wandel auf dem schmalen Wege, vom Vorwärtsgehen ohne Rückschauen, von einer Lauf¬ bahn, kurz vom Laufen und Rennen aller Art, so daß der morgende Wettlauf deutlich vom Him¬ mel vorgeschrieben schien. Da sie aber befürchtete, daß Dietrich als der Jüngste leicht am besten springen und die Palme erringen könnte, beschloß sie, selbst mit den drei Liebhabern auszuziehen
unterbrachen ſie ihr Lamentiren und rannten ihm nach, und die verzweifelte Szene war alſobald in die Wohnung der erſchrockenen Jungfrau ver¬ legt.
Dieſe war ſehr betroffen und bewegt durch das unerwartete Abenteuer; doch faßte ſie ſich zuerſt, und die Lage der Dinge überſchauend, beſchloß ſie, ihr eigenes Schickſal an des Mei¬ ſters wunderlichen Einfall zu knüpfen und be¬ trachtete dieſen als eine höhere Eingebung; ſie holte gerührt ein Schätzkäſtlein hervor und ſtach mit einer Nadel zwiſchen die Blätter, und der Spruch, welchen ſie aufſchlug, handelte vom un¬ entwegten Verfolgen eines guten Zieles. Dar¬ auf ließ ſie die aufgeregten Geſellen aufſchlagen, und alles, was dieſe aufſchlugen, handelte vom eifrigen Wandel auf dem ſchmalen Wege, vom Vorwärtsgehen ohne Rückſchauen, von einer Lauf¬ bahn, kurz vom Laufen und Rennen aller Art, ſo daß der morgende Wettlauf deutlich vom Him¬ mel vorgeſchrieben ſchien. Da ſie aber befürchtete, daß Dietrich als der Jüngſte leicht am beſten ſpringen und die Palme erringen könnte, beſchloß ſie, ſelbſt mit den drei Liebhabern auszuziehen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0416"n="404"/>
unterbrachen ſie ihr Lamentiren und rannten ihm<lb/>
nach, und die verzweifelte Szene war alſobald<lb/>
in die Wohnung der erſchrockenen Jungfrau ver¬<lb/>
legt.</p><lb/><p>Dieſe war ſehr betroffen und bewegt durch<lb/>
das unerwartete Abenteuer; doch faßte ſie ſich<lb/>
zuerſt, und die Lage der Dinge überſchauend,<lb/>
beſchloß ſie, ihr eigenes Schickſal an des Mei¬<lb/>ſters wunderlichen Einfall zu knüpfen und be¬<lb/>
trachtete dieſen als eine höhere Eingebung; ſie<lb/>
holte gerührt ein Schätzkäſtlein hervor und ſtach<lb/>
mit einer Nadel zwiſchen die Blätter, und der<lb/>
Spruch, welchen ſie aufſchlug, handelte vom un¬<lb/>
entwegten Verfolgen eines guten Zieles. Dar¬<lb/>
auf ließ ſie die aufgeregten Geſellen aufſchlagen,<lb/>
und alles, was dieſe aufſchlugen, handelte vom<lb/>
eifrigen Wandel auf dem ſchmalen Wege, vom<lb/>
Vorwärtsgehen ohne Rückſchauen, von einer Lauf¬<lb/>
bahn, kurz vom Laufen und Rennen aller Art,<lb/>ſo daß der morgende Wettlauf deutlich vom Him¬<lb/>
mel vorgeſchrieben ſchien. Da ſie aber befürchtete,<lb/>
daß Dietrich als der Jüngſte leicht am beſten<lb/>ſpringen und die Palme erringen könnte, beſchloß<lb/>ſie, ſelbſt mit den drei Liebhabern auszuziehen<lb/></p></div></body></text></TEI>
[404/0416]
unterbrachen ſie ihr Lamentiren und rannten ihm
nach, und die verzweifelte Szene war alſobald
in die Wohnung der erſchrockenen Jungfrau ver¬
legt.
Dieſe war ſehr betroffen und bewegt durch
das unerwartete Abenteuer; doch faßte ſie ſich
zuerſt, und die Lage der Dinge überſchauend,
beſchloß ſie, ihr eigenes Schickſal an des Mei¬
ſters wunderlichen Einfall zu knüpfen und be¬
trachtete dieſen als eine höhere Eingebung; ſie
holte gerührt ein Schätzkäſtlein hervor und ſtach
mit einer Nadel zwiſchen die Blätter, und der
Spruch, welchen ſie aufſchlug, handelte vom un¬
entwegten Verfolgen eines guten Zieles. Dar¬
auf ließ ſie die aufgeregten Geſellen aufſchlagen,
und alles, was dieſe aufſchlugen, handelte vom
eifrigen Wandel auf dem ſchmalen Wege, vom
Vorwärtsgehen ohne Rückſchauen, von einer Lauf¬
bahn, kurz vom Laufen und Rennen aller Art,
ſo daß der morgende Wettlauf deutlich vom Him¬
mel vorgeſchrieben ſchien. Da ſie aber befürchtete,
daß Dietrich als der Jüngſte leicht am beſten
ſpringen und die Palme erringen könnte, beſchloß
ſie, ſelbſt mit den drei Liebhabern auszuziehen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/416>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.