Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

terten und mit den Armen vor sich hin in die
Luft schlugen, schrien sie Zeter Mordio und rie¬
fen: Geh' fort! Geh' fort! bis der erschreckte
Meister in die Kammer drang und die tollen
Gesellen beruhigte. Zitternd vor Furcht, Groll
und Scham zugleich krochen sie endlich wieder
ins Bett und lagen lautlos neben einander bis
zum Morgen. Aber der nächtliche Spuck war nur
ein Vorspiel gewesen eines größeren Schreckens,
der sie jetzt erwartete, als der Meister ihnen
beim Frühstück eröffnete, daß er nicht mehr drei
Arbeiter brauchen könne und daher zwei von ih¬
nen wandern müßten. Sie hatten nämlich des
Guten zu viel gethan und so viel Waare zu¬
weg gebracht, daß ein Theil davon liegen blieb,
indeß der Meister den vermehrten Erwerb dazu
verwendet hatte, das Geschäft, als es auf dem
Gipfelpunkt stand, um so rascher rückwärts zu
bringen und ein solch lustiges Leben führte, daß
er bald doppelt so viel Schulden hatte, als er
einnahm. Daher waren ihm die Gesellen, so
fleißig und enthaltsam sie auch waren, plötz¬
lich eine überflüssige Last. Er sagte ihnen zum
Trost, daß sie ihm alle drei gleich lieb und werth

Keller, die Leute von Seldwyla. 26

terten und mit den Armen vor ſich hin in die
Luft ſchlugen, ſchrien ſie Zeter Mordio und rie¬
fen: Geh' fort! Geh' fort! bis der erſchreckte
Meiſter in die Kammer drang und die tollen
Geſellen beruhigte. Zitternd vor Furcht, Groll
und Scham zugleich krochen ſie endlich wieder
ins Bett und lagen lautlos neben einander bis
zum Morgen. Aber der nächtliche Spuck war nur
ein Vorſpiel geweſen eines größeren Schreckens,
der ſie jetzt erwartete, als der Meiſter ihnen
beim Frühſtück eröffnete, daß er nicht mehr drei
Arbeiter brauchen könne und daher zwei von ih¬
nen wandern müßten. Sie hatten nämlich des
Guten zu viel gethan und ſo viel Waare zu¬
weg gebracht, daß ein Theil davon liegen blieb,
indeß der Meiſter den vermehrten Erwerb dazu
verwendet hatte, das Geſchäft, als es auf dem
Gipfelpunkt ſtand, um ſo raſcher rückwärts zu
bringen und ein ſolch luſtiges Leben führte, daß
er bald doppelt ſo viel Schulden hatte, als er
einnahm. Daher waren ihm die Geſellen, ſo
fleißig und enthaltſam ſie auch waren, plötz¬
lich eine überflüſſige Laſt. Er ſagte ihnen zum
Troſt, daß ſie ihm alle drei gleich lieb und werth

Keller, die Leute von Seldwyla. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0413" n="401"/>
terten und mit den Armen vor &#x017F;ich hin in die<lb/>
Luft &#x017F;chlugen, &#x017F;chrien &#x017F;ie Zeter Mordio und rie¬<lb/>
fen: Geh' fort! Geh' fort! bis der er&#x017F;chreckte<lb/>
Mei&#x017F;ter in die Kammer drang und die tollen<lb/>
Ge&#x017F;ellen beruhigte. Zitternd vor Furcht, Groll<lb/>
und Scham zugleich krochen &#x017F;ie endlich wieder<lb/>
ins Bett und lagen lautlos neben einander bis<lb/>
zum Morgen. Aber der nächtliche Spuck war nur<lb/>
ein Vor&#x017F;piel gewe&#x017F;en eines größeren Schreckens,<lb/>
der &#x017F;ie jetzt erwartete, als der Mei&#x017F;ter ihnen<lb/>
beim Früh&#x017F;tück eröffnete, daß er nicht mehr drei<lb/>
Arbeiter brauchen könne und daher zwei von ih¬<lb/>
nen wandern müßten. Sie hatten nämlich des<lb/>
Guten zu viel gethan und &#x017F;o viel Waare zu¬<lb/>
weg gebracht, daß ein Theil davon liegen blieb,<lb/>
indeß der Mei&#x017F;ter den vermehrten Erwerb dazu<lb/>
verwendet hatte, das Ge&#x017F;chäft, als es auf dem<lb/>
Gipfelpunkt &#x017F;tand, um &#x017F;o ra&#x017F;cher rückwärts zu<lb/>
bringen und ein &#x017F;olch lu&#x017F;tiges Leben führte, daß<lb/>
er bald doppelt &#x017F;o viel Schulden hatte, als er<lb/>
einnahm. Daher waren ihm die Ge&#x017F;ellen, &#x017F;o<lb/>
fleißig und enthalt&#x017F;am &#x017F;ie auch waren, plötz¬<lb/>
lich eine überflü&#x017F;&#x017F;ige La&#x017F;t. Er &#x017F;agte ihnen zum<lb/>
Tro&#x017F;t, daß &#x017F;ie ihm alle drei gleich lieb und werth<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">Keller, die Leute von Seldwyla. 26<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[401/0413] terten und mit den Armen vor ſich hin in die Luft ſchlugen, ſchrien ſie Zeter Mordio und rie¬ fen: Geh' fort! Geh' fort! bis der erſchreckte Meiſter in die Kammer drang und die tollen Geſellen beruhigte. Zitternd vor Furcht, Groll und Scham zugleich krochen ſie endlich wieder ins Bett und lagen lautlos neben einander bis zum Morgen. Aber der nächtliche Spuck war nur ein Vorſpiel geweſen eines größeren Schreckens, der ſie jetzt erwartete, als der Meiſter ihnen beim Frühſtück eröffnete, daß er nicht mehr drei Arbeiter brauchen könne und daher zwei von ih¬ nen wandern müßten. Sie hatten nämlich des Guten zu viel gethan und ſo viel Waare zu¬ weg gebracht, daß ein Theil davon liegen blieb, indeß der Meiſter den vermehrten Erwerb dazu verwendet hatte, das Geſchäft, als es auf dem Gipfelpunkt ſtand, um ſo raſcher rückwärts zu bringen und ein ſolch luſtiges Leben führte, daß er bald doppelt ſo viel Schulden hatte, als er einnahm. Daher waren ihm die Geſellen, ſo fleißig und enthaltſam ſie auch waren, plötz¬ lich eine überflüſſige Laſt. Er ſagte ihnen zum Troſt, daß ſie ihm alle drei gleich lieb und werth Keller, die Leute von Seldwyla. 26

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/413
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/413>, abgerufen am 12.05.2024.