den Augen nach ihrem Sesselchen ging und den Bruder unverwandt anblickte.
Pankraz war der Erste, der sich nach meh¬ reren Minuten wieder zusammen nahm und als ein guter Soldat einen Übergang und Ausweg dadurch bewerkstelligte, daß er sein Gepäck herauf beförderte. Die Mutter wollte mit Est¬ herchen helfen; aber er führte sie äußerst hold¬ selig zu ihrem Sitze zurück, und duldete nur, daß Estherchen zum Wagen herunterkam und sich mit einigen leichten Sachen belud. Den weite¬ ren Verlauf führte indessen Estherchen herbei, welche bald ihren guten Humor wiedergewann und nicht länger unterlassen konnte, die Löwen¬ haut an dem langen gewaltigen Schwanze zu packen und auf dem Boden herumzuziehen, in¬ dem sie sich krank lachen wollte und einmal über das andere rief: Was ist dies nur für ein Pelz? Was ist dies für ein Ungeheuer?
"Dies ist, sagte Pankraz, seinen Fuß auf das Fell stoßend, vor drei Monaten noch ein lebendiger Löwe gewesen, den ich getödtet habe. Dieser Bursche war mein Lehrer und Bekehrer und hat mir zwölf Stunden lang so eindringlich
den Augen nach ihrem Seſſelchen ging und den Bruder unverwandt anblickte.
Pankraz war der Erſte, der ſich nach meh¬ reren Minuten wieder zuſammen nahm und als ein guter Soldat einen Übergang und Ausweg dadurch bewerkſtelligte, daß er ſein Gepäck herauf beförderte. Die Mutter wollte mit Eſt¬ herchen helfen; aber er führte ſie äußerſt hold¬ ſelig zu ihrem Sitze zurück, und duldete nur, daß Eſtherchen zum Wagen herunterkam und ſich mit einigen leichten Sachen belud. Den weite¬ ren Verlauf führte indeſſen Eſtherchen herbei, welche bald ihren guten Humor wiedergewann und nicht länger unterlaſſen konnte, die Löwen¬ haut an dem langen gewaltigen Schwanze zu packen und auf dem Boden herumzuziehen, in¬ dem ſie ſich krank lachen wollte und einmal über das andere rief: Was iſt dies nur für ein Pelz? Was iſt dies für ein Ungeheuer?
»Dies iſt, ſagte Pankraz, ſeinen Fuß auf das Fell ſtoßend, vor drei Monaten noch ein lebendiger Löwe geweſen, den ich getödtet habe. Dieſer Burſche war mein Lehrer und Bekehrer und hat mir zwölf Stunden lang ſo eindringlich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0040"n="28"/>
den Augen nach ihrem Seſſelchen ging und den<lb/>
Bruder unverwandt anblickte.</p><lb/><p>Pankraz war der Erſte, der ſich nach meh¬<lb/>
reren Minuten wieder zuſammen nahm und als<lb/>
ein guter Soldat einen Übergang und Ausweg<lb/>
dadurch bewerkſtelligte, daß er ſein Gepäck<lb/>
herauf beförderte. Die Mutter wollte mit Eſt¬<lb/>
herchen helfen; aber er führte ſie äußerſt hold¬<lb/>ſelig zu ihrem Sitze zurück, und duldete nur,<lb/>
daß Eſtherchen zum Wagen herunterkam und ſich<lb/>
mit einigen leichten Sachen belud. Den weite¬<lb/>
ren Verlauf führte indeſſen Eſtherchen herbei,<lb/>
welche bald ihren guten Humor wiedergewann<lb/>
und nicht länger unterlaſſen konnte, die Löwen¬<lb/>
haut an dem langen gewaltigen Schwanze zu<lb/>
packen und auf dem Boden herumzuziehen, in¬<lb/>
dem ſie ſich krank lachen wollte und einmal über<lb/>
das andere rief: Was iſt dies nur für ein<lb/>
Pelz? Was iſt dies für ein Ungeheuer?</p><lb/><p>»Dies iſt, ſagte Pankraz, ſeinen Fuß auf<lb/>
das Fell ſtoßend, vor drei Monaten noch ein<lb/>
lebendiger Löwe geweſen, den ich getödtet habe.<lb/>
Dieſer Burſche war mein Lehrer und Bekehrer<lb/>
und hat mir zwölf Stunden lang ſo eindringlich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[28/0040]
den Augen nach ihrem Seſſelchen ging und den
Bruder unverwandt anblickte.
Pankraz war der Erſte, der ſich nach meh¬
reren Minuten wieder zuſammen nahm und als
ein guter Soldat einen Übergang und Ausweg
dadurch bewerkſtelligte, daß er ſein Gepäck
herauf beförderte. Die Mutter wollte mit Eſt¬
herchen helfen; aber er führte ſie äußerſt hold¬
ſelig zu ihrem Sitze zurück, und duldete nur,
daß Eſtherchen zum Wagen herunterkam und ſich
mit einigen leichten Sachen belud. Den weite¬
ren Verlauf führte indeſſen Eſtherchen herbei,
welche bald ihren guten Humor wiedergewann
und nicht länger unterlaſſen konnte, die Löwen¬
haut an dem langen gewaltigen Schwanze zu
packen und auf dem Boden herumzuziehen, in¬
dem ſie ſich krank lachen wollte und einmal über
das andere rief: Was iſt dies nur für ein
Pelz? Was iſt dies für ein Ungeheuer?
»Dies iſt, ſagte Pankraz, ſeinen Fuß auf
das Fell ſtoßend, vor drei Monaten noch ein
lebendiger Löwe geweſen, den ich getödtet habe.
Dieſer Burſche war mein Lehrer und Bekehrer
und hat mir zwölf Stunden lang ſo eindringlich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/40>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.