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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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scheuer Seligkeit, da sie sich in den Armen
dieses wiedergekehrten Sohnes fühlte, dessen ach¬
tungsvolles Mützenabnehmen und dessen aufleuch¬
tende nie gesehene Anmuth, wie sie nur die
Rührung und die Reue giebt, sie schon wie mit
einem Zauberschlage berührt hatten. Denn noch
ehe das Bürschchen sieben Jahre alt gewesen,
hatte es schon angefangen sich ihren Liebkosungen
zu entziehen und seither hatte Pankraz in bitte¬
rer Sprödigkeit und Verstockung sich gehütet,
seine Mutter auch nur mit der Hand zu berüh¬
ren, abgesehen davon, daß er unzählige Male
schmollend zu Bett gegangen war ohne Gute¬
nacht zu sagen. Daher bedünkte es sie nun ein
unbegreiflicher und wundersamer Augenblick, in
welchem ein ganzes Leben lag, als sie jetzt nach
wohl dreißig Jahren sozusagen zum ersten Mal
sich von dem Sohne umfangen sah. Aber auch
Estherchen bedünkte dieses veränderte Wesen so
ernsthaft und wichtig, daß sie, die den Schmol¬
lenden tausendmal ausgelacht hatte, jetzt nicht
im mindesten den bekehrten Freundlichen anzu¬
lachen vermochte, sondern mit klaren Thränen in

ſcheuer Seligkeit, da ſie ſich in den Armen
dieſes wiedergekehrten Sohnes fühlte, deſſen ach¬
tungsvolles Mützenabnehmen und deſſen aufleuch¬
tende nie geſehene Anmuth, wie ſie nur die
Rührung und die Reue giebt, ſie ſchon wie mit
einem Zauberſchlage berührt hatten. Denn noch
ehe das Bürſchchen ſieben Jahre alt geweſen,
hatte es ſchon angefangen ſich ihren Liebkoſungen
zu entziehen und ſeither hatte Pankraz in bitte¬
rer Sprödigkeit und Verſtockung ſich gehütet,
ſeine Mutter auch nur mit der Hand zu berüh¬
ren, abgeſehen davon, daß er unzählige Male
ſchmollend zu Bett gegangen war ohne Gute¬
nacht zu ſagen. Daher bedünkte es ſie nun ein
unbegreiflicher und wunderſamer Augenblick, in
welchem ein ganzes Leben lag, als ſie jetzt nach
wohl dreißig Jahren ſozuſagen zum erſten Mal
ſich von dem Sohne umfangen ſah. Aber auch
Eſtherchen bedünkte dieſes veränderte Weſen ſo
ernſthaft und wichtig, daß ſie, die den Schmol¬
lenden tauſendmal ausgelacht hatte, jetzt nicht
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[27/0039] ſcheuer Seligkeit, da ſie ſich in den Armen dieſes wiedergekehrten Sohnes fühlte, deſſen ach¬ tungsvolles Mützenabnehmen und deſſen aufleuch¬ tende nie geſehene Anmuth, wie ſie nur die Rührung und die Reue giebt, ſie ſchon wie mit einem Zauberſchlage berührt hatten. Denn noch ehe das Bürſchchen ſieben Jahre alt geweſen, hatte es ſchon angefangen ſich ihren Liebkoſungen zu entziehen und ſeither hatte Pankraz in bitte¬ rer Sprödigkeit und Verſtockung ſich gehütet, ſeine Mutter auch nur mit der Hand zu berüh¬ ren, abgeſehen davon, daß er unzählige Male ſchmollend zu Bett gegangen war ohne Gute¬ nacht zu ſagen. Daher bedünkte es ſie nun ein unbegreiflicher und wunderſamer Augenblick, in welchem ein ganzes Leben lag, als ſie jetzt nach wohl dreißig Jahren ſozuſagen zum erſten Mal ſich von dem Sohne umfangen ſah. Aber auch Eſtherchen bedünkte dieſes veränderte Weſen ſo ernſthaft und wichtig, daß ſie, die den Schmol¬ lenden tauſendmal ausgelacht hatte, jetzt nicht im mindeſten den bekehrten Freundlichen anzu¬ lachen vermochte, ſondern mit klaren Thränen in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/39>, abgerufen am 24.11.2024.