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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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unentbehrliches Handbuch für Blaufärber. Darin
war aber mit Bleistift geschrieben: Unterfand für
die 3 Kreizer, welche ich dem Nassauer geborgt.
Hieraus schloß er, daß es ein Mann war, der
das Seinige zusammenhielt, und spähete unwill¬
kührlich am Boden herum, und bald entdeckte er
eine Fliese, die ihm gerade so vorkam, als ob
sie kürzlich herausgenommen wäre und unter der¬
selben lag auch richtig ein Schatz in ein altes
halbes Schnupftuch und mit Zwirn umwickelt,
fast ganz so schwer wie der seinige, welcher zum
Unterschied in einem zugebundenen Socken steckte.
Zitternd drückte er die Backsteinplatte wieder
zurecht, zitternd aus Aufregung und Bewunderung
der fremden Größe und aus tiefer Sorge um sein
Geheimniß. Stracks lief er hinunter in die Werk¬
statt und arbeitete, als ob es gälte, die Welt mit
Kämmen zu versehen, und der Baier arbeitete,
als ob der Himmel noch dazu gekämmt werden
müßte. Die nächsten acht Tage bestätigten durch¬
aus diese erste gegenseitige Auffassung; denn war
Jobst fleißig und genügsam, so war Fridolin
thätig und enthaltsam mit den gleichen bedenkli¬
chen Seufzern über das Schwierige solcher Tu¬

unentbehrliches Handbuch für Blaufärber. Darin
war aber mit Bleiſtift geſchrieben: Unterfand für
die 3 Kreizer, welche ich dem Naſſauer geborgt.
Hieraus ſchloß er, daß es ein Mann war, der
das Seinige zuſammenhielt, und ſpähete unwill¬
kührlich am Boden herum, und bald entdeckte er
eine Flieſe, die ihm gerade ſo vorkam, als ob
ſie kürzlich herausgenommen wäre und unter der¬
ſelben lag auch richtig ein Schatz in ein altes
halbes Schnupftuch und mit Zwirn umwickelt,
faſt ganz ſo ſchwer wie der ſeinige, welcher zum
Unterſchied in einem zugebundenen Socken ſteckte.
Zitternd drückte er die Backſteinplatte wieder
zurecht, zitternd aus Aufregung und Bewunderung
der fremden Größe und aus tiefer Sorge um ſein
Geheimniß. Stracks lief er hinunter in die Werk¬
ſtatt und arbeitete, als ob es gälte, die Welt mit
Kämmen zu verſehen, und der Baier arbeitete,
als ob der Himmel noch dazu gekämmt werden
müßte. Die nächſten acht Tage beſtätigten durch¬
aus dieſe erſte gegenſeitige Auffaſſung; denn war
Jobſt fleißig und genügſam, ſo war Fridolin
thätig und enthaltſam mit den gleichen bedenkli¬
chen Seufzern über das Schwierige ſolcher Tu¬

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[378/0390] unentbehrliches Handbuch für Blaufärber. Darin war aber mit Bleiſtift geſchrieben: Unterfand für die 3 Kreizer, welche ich dem Naſſauer geborgt. Hieraus ſchloß er, daß es ein Mann war, der das Seinige zuſammenhielt, und ſpähete unwill¬ kührlich am Boden herum, und bald entdeckte er eine Flieſe, die ihm gerade ſo vorkam, als ob ſie kürzlich herausgenommen wäre und unter der¬ ſelben lag auch richtig ein Schatz in ein altes halbes Schnupftuch und mit Zwirn umwickelt, faſt ganz ſo ſchwer wie der ſeinige, welcher zum Unterſchied in einem zugebundenen Socken ſteckte. Zitternd drückte er die Backſteinplatte wieder zurecht, zitternd aus Aufregung und Bewunderung der fremden Größe und aus tiefer Sorge um ſein Geheimniß. Stracks lief er hinunter in die Werk¬ ſtatt und arbeitete, als ob es gälte, die Welt mit Kämmen zu verſehen, und der Baier arbeitete, als ob der Himmel noch dazu gekämmt werden müßte. Die nächſten acht Tage beſtätigten durch¬ aus dieſe erſte gegenſeitige Auffaſſung; denn war Jobſt fleißig und genügſam, ſo war Fridolin thätig und enthaltſam mit den gleichen bedenkli¬ chen Seufzern über das Schwierige ſolcher Tu¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/390>, abgerufen am 28.11.2024.