Ankunft das Äußere seines Felleisens geziert; denn das Jahr hat nur zwei und funfzig Sonn¬ tage, und von diesen wurde nur die Hälfte zu einem kleinen Spaziergange verwandt. Niemand konnte sich rühmen, je ein kleines oder großes Stück Geld in seiner Hand gesehen zu haben; denn wenn er seinen Lohn empfing, verschwand dieser auf der Stelle auf die geheimnißvollste Weise, und selbst wenn er vor das Thor ging, steckte er nicht einen Deut zu sich, so daß es ihm gar nicht möglich war, etwas auszugeben. Wenn Weiber mit Kirschen, Pflaumen oder Bir¬ nen in die Werkstatt kamen und die anderen Arbeiter ihre Gelüste befriedigten, hatte er auch tausend und ein Gelüste, welche er dadurch zu beruhigen wußte, daß er mit der größten Auf¬ merksamkeit die Verhandlung mit führte, die hübschen Kirschen und Pflaumen streichelte und betastete und zuletzt die Weiber, welche ihn für den eifrigsten Käufer genommen, verblüfft abziehen ließ, sich seiner Enthaltsamkeit freuend, und mit zufriedenem Vergnügen, mit tausend kleinen Rath¬ schlägen, wie sie die gekauften Äpfel braten oder schälen sollten, sah er seine Mitgesellen essen.
Ankunft das Äußere ſeines Felleiſens geziert; denn das Jahr hat nur zwei und funfzig Sonn¬ tage, und von dieſen wurde nur die Hälfte zu einem kleinen Spaziergange verwandt. Niemand konnte ſich rühmen, je ein kleines oder großes Stück Geld in ſeiner Hand geſehen zu haben; denn wenn er ſeinen Lohn empfing, verſchwand dieſer auf der Stelle auf die geheimnißvollſte Weiſe, und ſelbſt wenn er vor das Thor ging, ſteckte er nicht einen Deut zu ſich, ſo daß es ihm gar nicht möglich war, etwas auszugeben. Wenn Weiber mit Kirſchen, Pflaumen oder Bir¬ nen in die Werkſtatt kamen und die anderen Arbeiter ihre Gelüſte befriedigten, hatte er auch tauſend und ein Gelüſte, welche er dadurch zu beruhigen wußte, daß er mit der größten Auf¬ merkſamkeit die Verhandlung mit führte, die hübſchen Kirſchen und Pflaumen ſtreichelte und betaſtete und zuletzt die Weiber, welche ihn für den eifrigſten Käufer genommen, verblüfft abziehen ließ, ſich ſeiner Enthaltſamkeit freuend, und mit zufriedenem Vergnügen, mit tauſend kleinen Rath¬ ſchlägen, wie ſie die gekauften Äpfel braten oder ſchälen ſollten, ſah er ſeine Mitgeſellen eſſen.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0385"n="373"/>
Ankunft das Äußere ſeines Felleiſens geziert;<lb/>
denn das Jahr hat nur zwei und funfzig Sonn¬<lb/>
tage, und von dieſen wurde nur die Hälfte zu<lb/>
einem kleinen Spaziergange verwandt. Niemand<lb/>
konnte ſich rühmen, je ein kleines oder großes<lb/>
Stück Geld in ſeiner Hand geſehen zu haben;<lb/>
denn wenn er ſeinen Lohn empfing, verſchwand<lb/>
dieſer auf der Stelle auf die geheimnißvollſte<lb/>
Weiſe, und ſelbſt wenn er vor das Thor ging,<lb/>ſteckte er nicht einen Deut zu ſich, ſo daß es<lb/>
ihm gar nicht möglich war, etwas auszugeben.<lb/>
Wenn Weiber mit Kirſchen, Pflaumen oder Bir¬<lb/>
nen in die Werkſtatt kamen und die anderen<lb/>
Arbeiter ihre Gelüſte befriedigten, hatte er auch<lb/>
tauſend und ein Gelüſte, welche er dadurch zu<lb/>
beruhigen wußte, daß er mit der größten Auf¬<lb/>
merkſamkeit die Verhandlung mit führte, die<lb/>
hübſchen Kirſchen und Pflaumen ſtreichelte und<lb/>
betaſtete und zuletzt die Weiber, welche ihn für<lb/>
den eifrigſten Käufer genommen, verblüfft abziehen<lb/>
ließ, ſich ſeiner Enthaltſamkeit freuend, und mit<lb/>
zufriedenem Vergnügen, mit tauſend kleinen Rath¬<lb/>ſchlägen, wie ſie die gekauften Äpfel braten oder<lb/>ſchälen ſollten, ſah er ſeine Mitgeſellen eſſen.<lb/></p></div></body></text></TEI>
[373/0385]
Ankunft das Äußere ſeines Felleiſens geziert;
denn das Jahr hat nur zwei und funfzig Sonn¬
tage, und von dieſen wurde nur die Hälfte zu
einem kleinen Spaziergange verwandt. Niemand
konnte ſich rühmen, je ein kleines oder großes
Stück Geld in ſeiner Hand geſehen zu haben;
denn wenn er ſeinen Lohn empfing, verſchwand
dieſer auf der Stelle auf die geheimnißvollſte
Weiſe, und ſelbſt wenn er vor das Thor ging,
ſteckte er nicht einen Deut zu ſich, ſo daß es
ihm gar nicht möglich war, etwas auszugeben.
Wenn Weiber mit Kirſchen, Pflaumen oder Bir¬
nen in die Werkſtatt kamen und die anderen
Arbeiter ihre Gelüſte befriedigten, hatte er auch
tauſend und ein Gelüſte, welche er dadurch zu
beruhigen wußte, daß er mit der größten Auf¬
merkſamkeit die Verhandlung mit führte, die
hübſchen Kirſchen und Pflaumen ſtreichelte und
betaſtete und zuletzt die Weiber, welche ihn für
den eifrigſten Käufer genommen, verblüfft abziehen
ließ, ſich ſeiner Enthaltſamkeit freuend, und mit
zufriedenem Vergnügen, mit tauſend kleinen Rath¬
ſchlägen, wie ſie die gekauften Äpfel braten oder
ſchälen ſollten, ſah er ſeine Mitgeſellen eſſen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 373. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/385>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.