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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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mußte. Hatte er sein Stückchen Braten oder
Wurst versorgt, so wurmisirte er noch ein Weil¬
chen in der Kammer herum und ging dann zu
Bett, dies war dann ein vergnügter Sonntag
für ihn gewesen.

Bei all' diesem anspruchlosen, sanften und
ehrbaren Wesen ging ihm aber nicht ein leiser
Zug von innerlicher Ironie ab, wie wenn er
sich heimlich über die Leichtsinnigkeit und Eitel¬
keit der Welt lustig machte und er schien die
Größe und Erheblichkeit der Dinge nicht undeut¬
lich zu bezweifeln und sich eines viel tieferen
Gedankenplanes bewußt zu sein. In der That
machte er auch zuweilen ein so kluges Gesicht,
besonders wenn er die sachverständigen sonntägli¬
chen Reden führte, daß man ihm wohl ansah, wie
er heimlich viel wichtigere Dinge im Sinne trage,
wogegen alles, was andere unternahmen, bauten
und aufrichteten, nur ein Kinderspiel wäre. Der
große Plan, welchen er Tag und Nacht mit sich
herumtrug und welcher sein stiller Leitstern war
die ganzen Jahre lang, während er in Seldwyl
Geselle war, bestand darin, sich so lange seinen
Verdienst aufzusparen, bis er hinreiche, eines

mußte. Hatte er ſein Stückchen Braten oder
Wurſt verſorgt, ſo wurmiſirte er noch ein Weil¬
chen in der Kammer herum und ging dann zu
Bett, dies war dann ein vergnügter Sonntag
für ihn geweſen.

Bei all' dieſem anſpruchloſen, ſanften und
ehrbaren Weſen ging ihm aber nicht ein leiſer
Zug von innerlicher Ironie ab, wie wenn er
ſich heimlich über die Leichtſinnigkeit und Eitel¬
keit der Welt luſtig machte und er ſchien die
Größe und Erheblichkeit der Dinge nicht undeut¬
lich zu bezweifeln und ſich eines viel tieferen
Gedankenplanes bewußt zu ſein. In der That
machte er auch zuweilen ein ſo kluges Geſicht,
beſonders wenn er die ſachverſtändigen ſonntägli¬
chen Reden führte, daß man ihm wohl anſah, wie
er heimlich viel wichtigere Dinge im Sinne trage,
wogegen alles, was andere unternahmen, bauten
und aufrichteten, nur ein Kinderſpiel wäre. Der
große Plan, welchen er Tag und Nacht mit ſich
herumtrug und welcher ſein ſtiller Leitſtern war
die ganzen Jahre lang, während er in Seldwyl
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[368/0380] mußte. Hatte er ſein Stückchen Braten oder Wurſt verſorgt, ſo wurmiſirte er noch ein Weil¬ chen in der Kammer herum und ging dann zu Bett, dies war dann ein vergnügter Sonntag für ihn geweſen. Bei all' dieſem anſpruchloſen, ſanften und ehrbaren Weſen ging ihm aber nicht ein leiſer Zug von innerlicher Ironie ab, wie wenn er ſich heimlich über die Leichtſinnigkeit und Eitel¬ keit der Welt luſtig machte und er ſchien die Größe und Erheblichkeit der Dinge nicht undeut¬ lich zu bezweifeln und ſich eines viel tieferen Gedankenplanes bewußt zu ſein. In der That machte er auch zuweilen ein ſo kluges Geſicht, beſonders wenn er die ſachverſtändigen ſonntägli¬ chen Reden führte, daß man ihm wohl anſah, wie er heimlich viel wichtigere Dinge im Sinne trage, wogegen alles, was andere unternahmen, bauten und aufrichteten, nur ein Kinderſpiel wäre. Der große Plan, welchen er Tag und Nacht mit ſich herumtrug und welcher ſein ſtiller Leitſtern war die ganzen Jahre lang, während er in Seldwyl Geſelle war, beſtand darin, ſich ſo lange ſeinen Verdienſt aufzuſparen, bis er hinreiche, eines

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 368. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/380>, abgerufen am 13.05.2024.