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Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

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war, wenn es fleißig betrieben wurde; denn
die Krämer, welche die umliegenden Jahrmärkte
besuchten, holten da ihre Kammwaaren. Außer
den nothwendigen Hornstriegeln aller Art wurden
auch die wunderbarsten Schmuckkämme für die
Dorfschönen und Dienstmägde verfertigt aus schö¬
nem durchsichtigen Ochsenhorn, in welches die
Kunst der Gesellen (denn die Meister arbeiteten
nie) ein tüchtiges braunrothes Schildpattgewölke
beizte, je nach ihrer Phantasie, so daß, wenn
man die Kämme gegen das Licht hielt, man die
herrlichsten Sonnenauf- und Niedergänge zu se¬
hen glaubte, rothe Schäfchenhimmel, Gewitter¬
stürme und andere gesprenkelte Naturerscheinun¬
gen. Im Sommer, wenn die Gesellen gerne
wanderten und rar waren, wurden sie mit Höf¬
lichkeit behandelt und bekamen guten Lohn und
gutes Essen; im Winter aber, wenn sie ein Un¬
terkommen suchten und häufig zu haben waren,
mußten sie sich ducken, Kämme machen, was
das Zeug halten wollte, für geringen Lohn, die
Meisterin stellte einen Tag wie den andern eine
Schüssel Sauerkraut auf den Tisch und der Mei¬
ster sagte: das sind Fische! Wenn dann ein Ge¬

war, wenn es fleißig betrieben wurde; denn
die Krämer, welche die umliegenden Jahrmärkte
beſuchten, holten da ihre Kammwaaren. Außer
den nothwendigen Hornſtriegeln aller Art wurden
auch die wunderbarſten Schmuckkämme für die
Dorfſchönen und Dienſtmägde verfertigt aus ſchö¬
nem durchſichtigen Ochſenhorn, in welches die
Kunſt der Geſellen (denn die Meiſter arbeiteten
nie) ein tüchtiges braunrothes Schildpattgewölke
beizte, je nach ihrer Phantaſie, ſo daß, wenn
man die Kämme gegen das Licht hielt, man die
herrlichſten Sonnenauf- und Niedergänge zu ſe¬
hen glaubte, rothe Schäfchenhimmel, Gewitter¬
ſtürme und andere geſprenkelte Naturerſcheinun¬
gen. Im Sommer, wenn die Geſellen gerne
wanderten und rar waren, wurden ſie mit Höf¬
lichkeit behandelt und bekamen guten Lohn und
gutes Eſſen; im Winter aber, wenn ſie ein Un¬
terkommen ſuchten und häufig zu haben waren,
mußten ſie ſich ducken, Kämme machen, was
das Zeug halten wollte, für geringen Lohn, die
Meiſterin ſtellte einen Tag wie den andern eine
Schüſſel Sauerkraut auf den Tiſch und der Mei¬
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[362/0374] war, wenn es fleißig betrieben wurde; denn die Krämer, welche die umliegenden Jahrmärkte beſuchten, holten da ihre Kammwaaren. Außer den nothwendigen Hornſtriegeln aller Art wurden auch die wunderbarſten Schmuckkämme für die Dorfſchönen und Dienſtmägde verfertigt aus ſchö¬ nem durchſichtigen Ochſenhorn, in welches die Kunſt der Geſellen (denn die Meiſter arbeiteten nie) ein tüchtiges braunrothes Schildpattgewölke beizte, je nach ihrer Phantaſie, ſo daß, wenn man die Kämme gegen das Licht hielt, man die herrlichſten Sonnenauf- und Niedergänge zu ſe¬ hen glaubte, rothe Schäfchenhimmel, Gewitter¬ ſtürme und andere geſprenkelte Naturerſcheinun¬ gen. Im Sommer, wenn die Geſellen gerne wanderten und rar waren, wurden ſie mit Höf¬ lichkeit behandelt und bekamen guten Lohn und gutes Eſſen; im Winter aber, wenn ſie ein Un¬ terkommen ſuchten und häufig zu haben waren, mußten ſie ſich ducken, Kämme machen, was das Zeug halten wollte, für geringen Lohn, die Meiſterin ſtellte einen Tag wie den andern eine Schüſſel Sauerkraut auf den Tiſch und der Mei¬ ſter ſagte: das ſind Fiſche! Wenn dann ein Ge¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/374>, abgerufen am 28.11.2024.