Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

in den Arm und zwang es still zu stehen; denn
er war zuerst zu sich gekommen. Er küßte es,
damit es schweige, heftig auf den Mund, da
es sich ganz vergessen hatte und laut sang. Es
verstand ihn endlich und sie standen still und
lauschend, bis ihr tobendes Hochzeitgeleite das
Feld entlang gerast war und, ohne sie zu ver¬
missen, am Ufer des Stromes hinauf sich verzog.
Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die
Jauchzer der Bursche tönten aber noch eine gute
Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang
und still wurde.

"Diesen sind wir entflohen, sagte Sali, aber
wie entfliehen wir uns selbst? Wie meiden
wir uns?"

Vrenchen war nicht im Stande zu antworten
und lag hochaufathmend an seinem Halse. "Soll
ich Dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und
Leute wecken, daß sie Dich aufnehmen? Mor¬
gen kannst Du ja dann Deines Weges ziehen
und gewiß wird es Dir wohl gehen, Du kommst
überall fort!"

"Fortkommen, ohne Dich!"

"Du mußt mich vergessen!"

in den Arm und zwang es ſtill zu ſtehen; denn
er war zuerſt zu ſich gekommen. Er küßte es,
damit es ſchweige, heftig auf den Mund, da
es ſich ganz vergeſſen hatte und laut ſang. Es
verſtand ihn endlich und ſie ſtanden ſtill und
lauſchend, bis ihr tobendes Hochzeitgeleite das
Feld entlang geraſt war und, ohne ſie zu ver¬
miſſen, am Ufer des Stromes hinauf ſich verzog.
Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die
Jauchzer der Burſche tönten aber noch eine gute
Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang
und ſtill wurde.

»Dieſen ſind wir entflohen, ſagte Sali, aber
wie entfliehen wir uns ſelbſt? Wie meiden
wir uns?«

Vrenchen war nicht im Stande zu antworten
und lag hochaufathmend an ſeinem Halſe. »Soll
ich Dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und
Leute wecken, daß ſie Dich aufnehmen? Mor¬
gen kannſt Du ja dann Deines Weges ziehen
und gewiß wird es Dir wohl gehen, Du kommſt
überall fort!«

»Fortkommen, ohne Dich!«

»Du mußt mich vergeſſen!«

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0361" n="349"/>
in den Arm und zwang es &#x017F;till zu &#x017F;tehen; denn<lb/>
er war zuer&#x017F;t zu &#x017F;ich gekommen. Er küßte es,<lb/>
damit es &#x017F;chweige, heftig auf den Mund, da<lb/>
es &#x017F;ich ganz verge&#x017F;&#x017F;en hatte und laut &#x017F;ang. Es<lb/>
ver&#x017F;tand ihn endlich und &#x017F;ie &#x017F;tanden &#x017F;till und<lb/>
lau&#x017F;chend, bis ihr tobendes Hochzeitgeleite das<lb/>
Feld entlang gera&#x017F;t war und, ohne &#x017F;ie zu ver¬<lb/>
mi&#x017F;&#x017F;en, am Ufer des Stromes hinauf &#x017F;ich verzog.<lb/>
Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die<lb/>
Jauchzer der Bur&#x017F;che tönten aber noch eine gute<lb/>
Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang<lb/>
und &#x017F;till wurde.</p><lb/>
        <p>»Die&#x017F;en &#x017F;ind wir entflohen, &#x017F;agte Sali, aber<lb/>
wie entfliehen wir uns &#x017F;elb&#x017F;t? Wie meiden<lb/>
wir uns?«</p><lb/>
        <p>Vrenchen war nicht im Stande zu antworten<lb/>
und lag hochaufathmend an &#x017F;einem Hal&#x017F;e. »Soll<lb/>
ich Dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und<lb/>
Leute wecken, daß &#x017F;ie Dich aufnehmen? Mor¬<lb/>
gen kann&#x017F;t Du ja dann Deines Weges ziehen<lb/>
und gewiß wird es Dir wohl gehen, Du komm&#x017F;t<lb/>
überall fort!«</p><lb/>
        <p>»Fortkommen, ohne Dich!«</p><lb/>
        <p>»Du mußt mich verge&#x017F;&#x017F;en!«</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[349/0361] in den Arm und zwang es ſtill zu ſtehen; denn er war zuerſt zu ſich gekommen. Er küßte es, damit es ſchweige, heftig auf den Mund, da es ſich ganz vergeſſen hatte und laut ſang. Es verſtand ihn endlich und ſie ſtanden ſtill und lauſchend, bis ihr tobendes Hochzeitgeleite das Feld entlang geraſt war und, ohne ſie zu ver¬ miſſen, am Ufer des Stromes hinauf ſich verzog. Die Geige, das Gelächter der Mädchen und die Jauchzer der Burſche tönten aber noch eine gute Zeit durch die Nacht, bis zuletzt alles verklang und ſtill wurde. »Dieſen ſind wir entflohen, ſagte Sali, aber wie entfliehen wir uns ſelbſt? Wie meiden wir uns?« Vrenchen war nicht im Stande zu antworten und lag hochaufathmend an ſeinem Halſe. »Soll ich Dich nicht lieber ins Dorf zurückbringen und Leute wecken, daß ſie Dich aufnehmen? Mor¬ gen kannſt Du ja dann Deines Weges ziehen und gewiß wird es Dir wohl gehen, Du kommſt überall fort!« »Fortkommen, ohne Dich!« »Du mußt mich vergeſſen!«

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/361
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Die Leute von Seldwyla. Braunschweig, 1856, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_seldwyla_1856/361>, abgerufen am 27.11.2024.